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Nürnberger Nachrichten, 18.5.2016 |
von Hannes S. Macher |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Das Preissingen als Casting-Show im Sozial-Ghetto |
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Musikalisch hinreißend, szenisch herrlich unkonventionell: "Die Meistersinger von Nürnberg" in München
unter Kirill Petrenko |
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Dies war nun die 12. Neuinszenierung von Richard Wagners Komödie seit der
Uraufführung 1868 im Haus am Münchner MaxJoseph-Platz. Doch die musikalische
Wiedergabe dürfte im Laufe der letzten 148 Jahre nie so grandios ausgefallen
sein wie diesmal unter dem Dirigat von Kirill Petrenko.
Allein mit
welcher Impulsivität und Intensität der Generalmusikdirektor der Bayerischen
Staatsoper das Vorspiel zum 1. Akt im Orchestergraben als hochdramatisches
musikalisches Feuerwerk zündete, war nicht nur hinreißend, sondern
großartig. Und als Kontrast dazu das Vorspiel zum 3. Akt: Ein Traum an
feinfühligem, ungemein zart-flirrendem Pianissimo und oszillierendem
Klangfarben-Reichtum. Dazwischen ein ebenso temperamentvolles wie
hochsensibles Eintauchen in Richard Wagners rauschhaft-berauschende
Komposition. Furios über fünfeinhalb Stunden hinweg bis zur strahlenden
Schlussapotheose im C-Dur.
Doch die Inszenierung von David Bösch
spaltete das Münchner Publikum wie selten: Wer Romantik und Hans Sachs'
Loblied auf das „liebe Nürenberg" erwartete, wurde bitter enttäuscht. Wer
jedoch Wagners Meisterwerk, befreit von alten Zöpfen und dem muffigen
Zunftgebaren, erleben wollte, der wurde in dieser herrlich unkonventionellen
und auch ironisch köstlich gebrochenen Aufführung beglückt.
Keine
Spur von treudeutscher Tümelei, kein Hauch von Ehrpusseligkeit. Stattdessen
eine ins Heute katapultierte ebenso kluge wie rasant servierte Studie über
soziale und gesellschaftliche Gegensätze in einer von Traditionen geprägten,
aber im Umbruch sich befindenden Kommune.
Nürnberg ist hier nicht die
stolze freie Reichs- und mittelalterliche Butzenscheiben-Stadt, sondern ein
Ort, in dem die Honoratioren hartnäckig ihre Pfründe verteidigen. Doch als
die in bröckelnden Betonkästen (Bühnenbild: Patrick Bannwart) einquartierten
Sozialhilfeempfänger ihren Unmut über Beckmessers nächtliches Ständchen für
die von ihm angehimmelte Eva mit einem Baseballschläger-Inferno
dokumentieren, hat der hier zum Polizisten mutierte Nachtwächter keine
Chance auf Gehör. Kein Wunder an diesem von starken sozialen Gegensätzen
geprägten Ort, dass die Meistersinger hier als Oligarchen auftreten, die
sich politischen Einfluss und wirtschaftliche Macht mafiamäßig zu sichern
suchen.
Folglich ist Veit Pogner, der - den Feministinnen schwillt
dabei die Zornesader - seine Tochter Eva dem Sieger des Preissingens als
Braut schenken will, ein aalglatter, skrupelloser Selfmademan, der sich ein
riesiges Wirtschaftsimperium aufgebaut hat. Gegenpol ist Hans Sachs,
Schumacher und Poet dazu, der Mann des Ausgleichs und der soliden
Strebsamkeit, der als fliegender Händler seine Dienstleistungen im Bus
anbietet.
Und in diese „Idylle" bricht Ritter Walther von Stolzing
ein, der die eh schon im Strukturwandel befindliche und deswegen arg
gebeutelte Stadt zusätzlich noch aufmischt: Im schwarzen Lederjacken-Outfit
betritt Jonas Kaufmann als James Dean-Double und damit supercooler Womanizer
die Szene, kritisch beäugt und auch angefeindet von einigen Betonköpfen der
Wirtschaftslobby. Doch angehimmelt wird er von Eva, dem liebesdurstigen
Teeniegirl, das der Stadtschreiber Beckmesser (so linkisch wie stimmstark:
Markus Eiche) eigentlich schon längst für sich auserkoren hat.
Auf
einer Video-Leinwand titeln die „Nürnberger Nachrichten" schon mal als
Topnachricht auf der ersten Seite „Pogner stiftet großen Preis von
Nürnberg". Der Wettstreit wird dann auf der „Festwiese" mit einem Boxring
als Zentrum in einem Fernsehstudio als köstliche Persiflage auf
Casting-Shows mit den skurrilsten Eitelkeiten aller beteiligten„Nürnberg-
Heroes” samt manipuliertem Zuschauerjubel ausgetragen.
Dass nach dem
Sieg des Außenseiters Stolzing, der in dieser Inszenierung die Aufnahme in
die Meisterzunft-Gilde skandalöserweise verweigert, der unterlegene
Beckmesser sich erschießt, ist der schier übersprudelnden Regieeinfälle von
David Bösch dann doch etwas zuviel.
Doch nicht nur das atemberaubende
Dirigat von Kirill Petrenko, sondern auch die großartigen sängerischen
Leistungen trösten über so manche allzu aufgesetzten Regiegags hinweg. Allen
voran natürlich Jonas Kaufmann mit seiner zwar etwas kehligen, aber
wunderschönen lyrischen Tenorstimme. Ein Stolzing-Beau in Stimme und
Ausstrahlung. Und das mit Inbrunst gesungene Preislied („Morgendlich
leuchtend") geriet ihm dabei hinschmelzend schön.
Ihm zur Seite mit
anrührendem, jedoch auch etwas zu dramatischem Sopran die Amerikanerin Sara
Jakubiak als Eva, die von ihrem Marketing-geilen und mit Prachtstimme
gesegneten Vater Veit Pogner (Christof Fischesser) gnadenlos gecoacht wird.
Restlos überzeugend auch das Liebespaar der brav-fürsorglichen Magdalena
(Okka von der Damerau) und des in seiner ganzen Spießigkeit beruflich
aufstrebenden Schustergesellen David (Benjamin Bruns). Doch neben all den
Meistersingern brillierte vor allem Wolfgang Koch als Hans Sachs mit
baritonalem Wohllaut.
Jubel über Jubel des Münchner
Premierenpublikums für den Dirigenten, das Orchester, den Chor und alle
Solisten dieser brillanten Neuinszenierung. Doch neben enthusiastischem
Applaus für David Bösch und sein Regie- und Ausstattungsteam gab's auch
reichlich wütende Buhs der altvorderen Wagner-Fans.
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