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Donaukurier, 17.5.2016 |
Von Jesko Schulze-Reimpell |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Der rockende Bilderstürmer |
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München (DK) Der Star des Abends ist ein kleiner, eher schüchtern wirkender Mann: Kyrill Petrenko. Als der Dirigent beim Schlussapplaus von Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" die Bühne des Nationaltheaters betritt, kennt der Saal kein Halten mehr: Die Besucher springen von den Sitzen, die Bravorufe übertreffen an Lautstärke jedes noch so grandiose Wagner-Fortissimo im Orchestergraben. |
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München: Musikalisch überragend, Regie enttäuschend: Richard Wagners
"Meistersinger" mit Jonas Kaufmann in München
In der Tat: Allein die
Ouvertüre ist meisterhaft. Petrenko und das Bayerische Staatsorchester
setzen mit Hochdruck ein, da ist kein bisschen betuliches Pseudobarock zu
spüren. Das ist Spannung, ja, Erregung pur. Dann das schwelgerische zweite
Thema: Der Russe, der ab 2018 bei den Berliner Philharmoniker die Nachfolge
von Simon Rattle antreten wird, lässt die Streicher und die Trompeten
unendlichen Glanz verströmen. Die polyfonen Passagen zelebriert er im Piano,
die Strukturen werden fast schon überdeutlich. Und zum Schluss lässt es
Petrenko richtig krachen, man kann kaum glauben, dass es noch turbulenter
geht.
Aber Petrenko verfährt weiter so: Die großen Chorszenen im
dritten Akt sind dynamischer kaum vorstellbar. In Sekundenschnelle wechselt
Petrenko vom gewaltigen Fortissimo zu flüsterleisen Registern. Und Petrenko
begleitet mit höchster Einfühlsamkeit, wie ein warmes Tuch umhüllt das
Orchester die Sänger, passt sich ihnen einfühlsam an, ohne sie je zu
übertönen - ein Meister der Zwischentöne.
Musikalisch gelingt am
Premierenabend einfach alles, da Petrenko vorzügliche Sänger zur Verfügung
hat: Meistersinger im wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem Jonas Kaufmann
als Stolzing hat inzwischen einen markanten, dunkel strömenden Tenor. Ein
unverwechselbares Timbre, allerdings nicht unproblematisch. Denn Kaufmann
singt immer etwas angestrengt, gepresst, kaum eine Phrase, ohne dass die
Stimme ihre Farbe wechselt. Aber auch fast alle anderen Sänger sind
fantastisch: Christof Fischesser als balsamisch singender Pogner, Wolfgang
Koch als souveräner Hans Sachs, Markus Eiche mit sympathisch wohlig-weichem
Bariton sowie Sara Jakubiak als strahlende Eva.
Nicht ganz so
sensibel wie Petrenko agiert Regisseur David Bösch. Er begreift Wagners
"Meistersinger" in erster Linie als Komödie - und da setzt er vor allem auf
Unterhaltsamkeit und glaubwürdige Figurenzeichnung. Walther von Stolzing ist
bei ihm ein Rocker, der mit dem Gitarrenkoffer in der Hand die Szenerie
betritt. Schnell wird klar: Hier prallt bundesrepublikanischer
Kleinstadtmief auf Spät-68er-Freiheitsgefühl.
Stolzing ist cool bis
zum Abwinken, vor dem Wettbewerb schmaucht er schnell noch mal eine
Selbstgedrehte. Während David, ein großer, ernster Junge im schlecht
sitzenden Anzug, anhand eines Berges von Aktenordnern das komplizierte
Regelwerk für den Sängerwettstreit erklärt, macht Stolzing sich über ihn
lustig. Als er beim ersten Vorsingen gestört wird, packt ihn die Wut: Zornig
greift er nach der vorher sorgfältig mit Glasreiniger gepflegten
Wagner-Büste und zertrümmert sie. Stolzing, der rockende Bilderstürmer.
Im Bühnenbild von Patrick Bannwart ist nichts zu sehen von der sonst
üblichen Nürnberger Fachwerk-Idylle. Bröckelig-grauer Sozialbau steht
mehrstöckig in der Gegend rum, drapiert mit Wäscheleinen,
Satellitenschüsseln und Brauerei-Paletten. Der einzige Überschwang, den
diese Gesellschaft kennt, ist der Bierrausch.
Interessant ist die
Figurenzeichnung des Beckmessers. Bösch macht sich fast schon brutal über
ihn lustig, stellt ihn unerbittlich bloß und setzt gerade dadurch
Beckmessers rücksichtslose Umwelt der Kritik aus. Dieser Beckmesser, bei
aller Peinlichkeit, wirkt mitleiderregend, ja fast schon tragisch. Wenn er,
der immer dazugehören will, im Nadelstreifenanzug mit einer hässlichen
Hebebühne und der Ukulele in den Händen Eva ein Ständchen bringen will, wenn
es schließlich Lametta regnet und Hans Sachs ihn ununterbrochen stört - dann
gefriert das Lachen in den Gesichtszügen des Publikums. Ist das wirklich
noch komisch, wenn er vom eifersüchtigen David verprügelt wird, weil er, von
Eva ausgetrickst, das falsche Mädchen angesungen hat? In der nächsten Szene
sitzt er im Rollstuhl, tief verzweifelt gießt er Benzin über sich und will
sich anzünden - aber nicht einmal das will ihm gelingen. Am Ende, nachdem er
den als spießigen Songcontest inszenierten Sängerwettstreit blamabel
verloren hat, gibt er sich die Kugel. Vorher hat er einen Moment lang auf
Hans Sachs gezielt. Das Image des weisen Onkeltyps, mit dem Herz am
richtigen Fleck, bekommt hier einige Kratzer.
David Böschs
Inszenierung eilt vor allem von Gag zu Gag und ist dabei so realistisch wie
ein Fernsehspiel. Das ist amüsant, aber eine neue Sicht auf den Stoff
gewährt diese Art der Trivialisierung nicht. Und Wagners Versuch, in einer
Oper Kunst über Kunst zu machen, wird in der Sozialbau-Ästhetik nicht
glaubwürdiger.
Nur einen Moment lang wird Bösch politisch: In der
berüchtigten Festzelt-Passage, wenn Sachs vom hehren Deutschtum der Kunst
faselt, lässt er hetzende, schreiende Gesichter über die Leinwand flitzen -
bis eine Art TV-Bildstörung alles auflöst. Stolzing aber nimmt den Pokal
nicht an, sondern ergreift zusammen mit Eva die Flucht - vor den
faschistoiden Meistersingern.
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