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Die Welt, 17.5.2016 |
Von Manuel Brug |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Tenor Jonas Kaufmann hätte den Grand Prix verdient |
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Von Wagners "Meistersingern" zu Opas Musikkino: Immerhin hatte die
Inszenierung von David Bösch in München einen von Kirill Petrenko super
dirigierten Soundtrack. Und Jonas Kaufmann als Peter Kraus. |
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Ein prima Problemfall für "Schwiegertochter gesucht"! Besser hätte den auch
Jan Böhmermann nicht erfinden können. Sitzen zwei ziemlich zerzauste Zausel
vor einem zerbeulten Blechkarren, ihrer gegenwärtigen Bleibe. Der könnte mal
ein mobiler Döner-Imbiss gewesen sein, dient aber jetzt unter anderem als
fahrende Reparaturwerkstatt des Älteren. Dem man freilich nicht einmal einen
kaputten Schuh anvertrauen würde. Speckig das Haar, stier der Blick,
schlampig die Kleidung. Zwischen seinem miesen Gerümpel leuchten allerlei
leere Gin-Flaschen hervor. Deren letzte Getränkereste kippt er jetzt in
seinen kalten Kaffee, wohl um den Geschmack der saurer gewordenen Milch
darin abzutöten.
Währenddessen der Junior, ein alberner
Möchtegernbarde in Lederjacke und Zielscheiben-T-Shirt, seinen
Snoopy-Gitarrenkoffer, der ihm als Beweis seiner eher peinlichen
Protestsongs gegen Gott und das Establishment dient, beiseiteräumt und
versucht, die ekelige Plörre herunterzubekommen. Zwei läppisch larmoyante
Loser, die sich an ihre Fluppen klammern – Vera Int-Veen, bitte übernehmen
Sie!
Geht aber nicht. Denn wir sind in der Bayerischen Staatsoper,
dort wo eben diese beiden (nicht verwandten) trashigen Typen, erfunden von
Richard Wagner und jetzt sehr seltsam weitergedacht (mit ein paar Anleihen
bei Frank Castorf) von David Bösch, am 21. Juni 1868 das Licht der
Musiktheaterbühne erblickt haben. Und jetzt wieder mal Premiere feiern.
So singt die Unterschicht
David Bösch ist der
Regisseur: ein netter, erwartbarer, weil sich gern selbst zitierender
Konfektionär aus dem Schauspiel; inzwischen viel gebucht, seit er 2009 am
Nationaltheater mit einer clever bei Fellini und Chaplin Atmosphäre
geklauten, hübsch surrealen Produktion von Donizettis "Liebestrank"
erfolgreich das Genre gewechselt hatte. Diese "Meistersinger" sind bereits
seine fünfte Münchner Arbeit – und sie sind spürbar zu schwer. Er will die
nationale Komödie nicht politisch befrachten, möchte sich im Kunstdiskurs
nicht festlegen, nur eine gute, fünfeinhalb Stunden dauernde Wagner-Zeit
haben. Die bleibt an der Oberfläche und der Bühnenrampe.
Patrick
Bannwart hat ihm dafür ein ärmliches Szenenbild aus Gerüsten, einem Boxring,
zwei Betonhochhausrohlingen, Betttüchern und diversen fahrbaren Untersätzen
bereitgestellt. Es soll alles ein wenig improvisiert wirken – und verliert
sich doch ort- wie zeitlos in einem theatralischen Prekariats-Nirwana, wo
Fünfzigerjahre-Petticoat, Seventies-BMW und Satellitenschüssel miteinander
koexistieren. Es gibt ein paar überflüssige Videos und später, als einzigen
Kommentar zur ambivalenten Hans-Sachs-Rede von der "deutschen Kunst", eine
Bildstörung samt weißem Rauschen. Eine schwarzgraue Tristesse, in der hier
und da Glühbirnchen blinkern und hin und wieder Glitter rieselt.
Connie und Peter in Nürnberg
Doch die C-Dur-Blechfanfare
des Vorspiels schunkelt im Feuerstrom der Reben, der Pauker lässt gustiös
auf Schlag die Korken ploppen. Kirill Petrenko, hier stets von null auf
hundert zum Wundermann gehypter Generalmusikdirektor am Pult, dirigiert
schon die lange Ouvertüre beschwingt als Champagner-Operette. Und wird auch
für den Rest des Abends leicht sein, behend und flexibel, mühelos am
Lautstärkepegel regelnd, mit süffigen Accelerandi und weich federndem
Abbremsen.
Er leitet in jedem Takt ein durchhörbares Parlandostück,
graziös, nie fett und staatstragend werdend. Nur im letzten Vorspiel, da
lässt er instrumental breit aussingen, wird nachdenklich, wo er sonst gerne
voranprescht. Sachs' "Wahn"-Monolog lässt er zudem als Mirakel still
wispernder, weltenflüsternder Kontemplation verharren. Sehr, sehr gut ist
das.
Erster Akt: Deutscher Musikfilm, Connie und Peter, Liebe, Tanz
und 1000 Wagner-Schlager. Die leider ältlich klingende, wenig besondere Sara
Jakubiak backfischt die Eva. Jonas Kaufmann, einer der wenigen Tenöre, die
eine Lederjacke tragen können, versucht sich in seinem ersten szenischen
Stolzing leidlich als Peter-Kraus-Ersatz. Das tändelt hübsch und
funktioniert zunächst gut, auch weil die starkstimmige, präsente Magdalene
Okka von der Dameraus perfekt wie einst Trude Herr die ewige beste Freundin
im Großgepunkteten gibt: Die will lieber einen Mann als Schokolade. Ihr
täppischer Partner als talentloser, dafür übereifriger David ist nicht
Gunther Philipp, sondern Benjamin Bruns.
Keine Statur, keine
Kontur
Der junge Spieltenor singt die gern unterschätzte
Lehrbuben-Partie beinahe perfekt – und er ist neben der souveränen Magdalene
die am interessantesten ausmodellierte Figur des Abends. Der Streber als
Loser, schon gemobbt von den überaus aggressiven Lehrbuben, die dann in der
Prügelfuge als Affenmaskenbande so richtig mit Baseballschlägern loslegen
dürfen. David ist es, der am Ende in den zärtlich umklammerten, von Stolzing
verschmähten Preispokal hineinkotzt, während sich der Beckmesser des
fähigen, vokal eine Spur zu braven Markus Eiche, allzu lange der elegante
Katastrophenkomiker à la Boy Gobert, im Goldglitzeranzug die Kugel gibt.
Solches war zwar schon vorher durch einen Flirt mit dem Benzinkanister
vorbereitet, aber schlüssig wirkt der Selbstmord trotzdem nicht. Dafür
musste sich sein Charakter ständig in hinderlichem Gag-Gestrüpp verhaken, in
seiner Ständchenszene einer Funken sprühenden Hebebühne den Vortritt lassen.
So wie auch der bewährte Hans Sachs von Wolfgang Koch nie wirklich zur
Hauptperson reift. Der Sänger taucht vokal gewitzt unter den immensen
Schwierigkeiten der Partie hinweg, gibt so jovial wie liberal den altlinken
Säuselschuster – mit so wenig Kontur wie Statur.
Scripted
Opera
David Bösch mag das recht sein. Denn auch er wechselt
vielfach die Richtungen. Nach der bald fallen gelassenen Parodie auf Opas
Trällerkino folgt im zweiten Akt die Sensationsreportage aus der Nürnberger
No-go-Area, wo es aussieht wie im zerschossenen Kabul. Wohin sich aber
trotzdem der reiche Goldschmied Pogner (für zu leicht befunden: der Bass
Christof Fischesser) wie auch – zur Johannisnachtstunde! – Sachs in seinem
geöffneten Erste-Schuhhilfe-Töfftöff verirrt haben.
Der dritte Akt
wartet dann mit der gescripteten Tränen-Realityshow in der mobilen
Schusterstube auf, bevor es zur Unterschicht-Festwiese als billiger ESC- und
"The Voice"-Parodie samt männlicher Cheerleader-Truppe aus Fürth
weiterschwenkt. Zum Glück ist endlich Jonas Kaufmann vokal wach geworden.
Mit (zu) dunklen Tönen und herrlichen Höhen ersingt sich der Star
charismatisch den Preislied-Grand-Prix. Besondere Bedeutung wird der
Stolzing in seinem Repertoire aber sicher nicht mehr bekommen.
Zum
zwölften Mal kamen "Die Meistersinger" an diesem historischen Ort heraus.
Und wieder wird mit dieser Münchner Inszenierung wohl kaum
Regierezeptionsgeschichte geschrieben werden. Aber vokale Lichtblicke (dazu
gehört auch der hinreißende Kothner-Cameo des 77-jährigen Eike Wilm
Schulte), einen tollen David und eine orchestral brillante, auch von den
Chören angeheizte Musikkomödie gibt es zu vermelden.
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