Klassik Info, 17.5.2016
Von Robert Jungwirth
 
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
Beckmesser beim Eurovision Song Contest
Kirill Petrenko dirigiert Münchens neue „Meistersinger“ und David Bösch inszeniert sie irgendwo zwischen Bautzen und Bonn
 
Was ist in Zeiten von Pegida und AfD davon zu halten, wenn auf der Opernbühne von der „heiligen deutschen Kunst“ und von „welschem Tand“ schwadroniert wird, den man „uns ins deutsche Land pflanzt“? Muss man das als Regisseur konterkarieren, korrigieren, kritisieren? David Bösch sagt zurecht, dass er die gut vier Stunden „Meistersinger“ nicht allein von den letzten drei Minuten aus inszenieren kann und will. Und so sind bei ihm denn auch keine Pegidaaufmärsche zu sehen und keine Deutschlandfahnen – auch wenn das gewiss verlockend wäre. Nicht das Deutschnationale interessiert Bösch, sondern eher die darunterliegende tumbe Befindlichkeit, die Menschen dazu bringt, auf alle möglichen Außenseiter loszugehen. So ergeht es Beckmesser in Böschs Meistersingern richtig übel. Am Ende des zweiten Akts wird er regelrecht krankenhausreif geprügelt – von Baseballschläger schwingenden Jugendlichen, die selbst den Nachtwächter, der hier als Polizist auftritt, in die Flucht schlagen.

Einen solch jämmerlichen und beklagenswerten Beckmesser wie ihn Markus Eiche in dieser Produktion grandios singt und spielt, indem er ihn nicht einfach der Lächerlichkeit preisgibt, sondern ihn verzweifelt, weil chancenlos für sein Glück kämpfen läßt, einen solch erbarmungswürdigen Beckmesser hat man noch nicht gesehen. Schon zu Beginn des dritten Akts will er sich eigentlich selbst aus der Welt schaffen. Er übergießt sich mit Benzin, aber die Streichhölzer versagen. Dann findet er zufällig das vermeintliche Bewerbungslied von Hans Sachs und glaubt damit seinen Erfolg beim Gesangswettbewerb um Eva garantiert. Sein Einsatz ist hoch und sein Sturz so tief, dass er am Ende der Oper tatsächlich Selbstmord begeht. Selbst der Menschenfreund Sachs kann ihm nicht mehr helfen. Wolfgang Koch ist der Star des Abends. Einen derart coolen, aber doch empfindungsreichen Sachs, der in einem alten Transporter seine Werkstatt hat und darin auch haust, hat man ebenfalls noch nicht gesehen und nicht gehört. Die Klarheit seiner Diktion ohne alles pompöse Meistersingergeschwurbel ist beispielhaft und geht Hand in Hand mit Kirill Petrenkos brillantem und ungemein transparentem Orchesterklang. Dabei mutet der Münchner GMD den Sängern mit seinen sehr zügigen Tempi doch einiges zu. Doch sowohl Koch als auch der baritonal gefärbte, wunderbar kraftvolle Jonas Kaufmann als Walther Stolzing und die klangvolle, wenngleich deklamatorisch nicht ganz so überzeugende Eva von Sara Jakubiak bilden ein geschlossenes Ensemble. Hervorzuheben sind desweiteren Christof Fischesser als kerniger Pogner, Eike Wilm Schulte als Kothner, Benjamin Bruns als sing- und spielfreudiger David, der kurz vor seiner Hochzeit vor seinem Coming out zu stehen scheint und Okka von der Damerau als Magdalena.

Was ein wenig irritiert sind die 60er Jahre-Kostüme in einer Plattenbaustadtlandschaft aus unserer Gegenwart mit Satellitenschüsseln. Sind wir also doch irgendwo im Osten bei national eingefärbten Anwohnern? Man wird nicht ganz schlau aus der Bühne von Patrick Bannwart. Vor allem der in allen Akten schwarze Rückprospekt verbreitet eine ermüdende und sinnlose Düsternis über alle drei Akte hinweg. Wohingegen die Personenregie von Bösch unglaublich genau und ideenreich ist und die dreiaktige Oper noch dazu mit Petrenkos Tempi ziemlich schnell vorüberziehen läßt. Höhepunkt ist der mit viel Slapstick inszenierte Sängerwettstreit, den Bösch mit viel Glitzer vom Bühnenhimmel als provinzielle Version des Eurovision Song Contest inszeniert.
Viel Jubel und Bravi für Petrenko und die Sänger, allen voran Wolfgang Koch, Buhs und Bravi für die Regie.






 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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