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Kurier, 17.5.2016 |
Gert Korentschnig |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Kaufmann in "Meistersinger": Meisterhaft |
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Bejubelte Neuproduktion der Wagner-Oper mit Kaufmann als Stolzing und Dirigent Petrenko.
Er benimmt sich wie ein Rocker, also manchmal auch daneben. Er wuzelt sich
permanent Tschick und kümmert sich um keinerlei Regeln. Er trägt Lederjacke
und Turnschuhe, auf seinem Shirt steht "Good Knight". Er will mit der
feschesten Braut des Abends abziehen – der Rest ist diesem genialischen
Ritter egal. Sex, Drugs und Wagner’scher Rock ’n’ Roll.
So hat man
Walther von Stolzing noch nie gesehen. Und selbst Jonas Kaufmann, den
größten Tenor unserer Tage, der hier (längst fällig) zum Rockstar wird,
erlebt man nicht alle Tage so intensiv.
Zum ersten Mal gestaltete
Kaufmann bei der "Meistersinger"-Premiere an der Bayerischen Staatsoper
München (szenisch) diese schwierige, wenngleich traumhaft schöne
Wagner-Partie – und er setzt wieder Maßstäbe. Mit seinem wunderbaren Timbre,
seiner klaren Höhe, mit prachtvollen Kantilenen, exemplarischer Phrasierung
und exzellenter Artikulation singt er auf der Festwiese so schön wie seit
Langem niemand mehr (in der Schusterstube hatte er sich noch etwas warm
singen müssen).
Neuland
Es ist eine Freude,
Kaufmann bei der Eroberung neuer Partien miterleben zu können – ebenso wie
es eine Freude ist, Kirill Petrenko bei seiner Opern-Entdeckungsreise in
München zu folgen. Der Generalmusikdirektor schafft es auch bei den
"Meistersingern", über denen so schwer die Aufführungstradition lastet,
Neuland zu finden. Mit Akribie legt er Details frei, bisher Ungehörtes und
ist doch immer klar strukturiert, auf das große Ganze fokussiert. Petrenkos
erste "Meistersinger" sind frei von Pathos, Schwulst, von Kraftmeierei,
dafür erfrischend leicht, spielerisch, humorvoll, aber sehr dramatisch und
temporeich (schon das Vorspiel ist ganz in Wagners Sinn mit neun Minuten
etwa drei Minuten kürzer als bei den meisten seiner Kollegen).
Gepinselte musikalische Farbenpracht trifft auf klare zeichnerische Linien –
ein Aha-Erlebnis. Wer behauptet, "Meistersinger" schon besser gehört zu
haben, schwindelt entweder oder verklärt die Vergangenheit.
Ensembleleistung
Aber Kaufmann und Petrenko sind nur zwei
der herausragenden Gestalter an diesem exemplarischen Abend. Wolfgang Koch
singt den Hans Sachs grandios, enorm klug, mit bestechender Diktion,
berührend, nie zu stark forcierend und doch bis zum Finale sicher und
präsent. Markus Eiche ist ein sehr guter, recht lyrischer Beckmesser,
Benjamin Bruns ein höhensicherer und spielfreudiger David, Okka von der
Damerau eine ausdrucksstarke Magdalene, Sara Jakubiak eine etwas zu
dramatische Eva, Tareq Nazmi ein profunder Nachtwächter, diesfalls als
Polizist gezeichnet. Und alle Meister, von Christof Fischesser als Pogner
bis zu Eike Wilm Schulte als Kothner, sind famos – die Bayerische Staatsoper
beweist wieder, dass sie solche Ensemblestücke durchgehend hochkarätig zu
besetzen vermag. Der Jubel des Publikums war verdientermaßen enorm.
Dass Regisseur David Bösch auch mit einigen Buhs konfrontiert wurde, war
absehbar, geht er doch insofern völlig neue Wege, als er den so oft
gesehenen "Meistersinger"-Ramsch wegpustet und vermeintliche Ideale als
Trugbilder entlarvt, ohne dabei respektlos zu werden. Seine "Meistersinger"
agieren im Nürnberg (oder wo auch immer) der Nachkriegszeit, zwischen
tristen Gebäuden. Stolzing fährt, wenn er keinen Auftritt als Rocker hat,
mit einem Bierwagen "Meisterbräu" aus, David mit einem Mofa über die Bühne,
die Schusterstube ist ein alter, aufklappbarer Citroën, wie ein
Würstelstand.
In diesem Ambiente zeigt Bösch, wie Gewalt entsteht,
wie Grenzen gezogen werden. Zur Schlüsselfigur wird so Beckmesser, der in
der Prügelszene vom Mob schwer verletzt wird. Nach seinem Lied kommt es zu
Ausschreitungen, man denkt an Pegida. Die Lehrlinge tragen abends
Baseballschläger und Affenmasken, die sie abnehmen, ehe sie zuschlagen. Der
Alltag wird zum brutalen Kampf. Eine Radikalisierung, wie wir sie gerade
wieder erleben. In dieser Welt ist für Beckmesser, den Außenseiter, den
Juden zur Zeit des Antisemiten Wagner, der heute in der Flüchtlingskrise
genauso gut ein Moslem sein könnte, kein Platz – er erschießt sich.
Bildstörung
Eine kluge Lösung hat Bösch für den
Schlussmonolog des Sachs gefunden, der mit dem Aufruf zum Schutz des
Deutschtums so problematisch geworden ist: Er zeigt zunächst deutsche Helden
auf einer Leinwand, von Franz Beckenbauer mit dem Champions-League-Pokal bis
zu Nürnberger Schützen – ehe die Leinwand und mit ihr die ganze Bühne eine
Bildstörung bekommt und alles nur noch flimmert, während man im Hintergrund
ein paar Nazi-Fratzen ausmacht. Die Zeit der Helden und Führer ist vorbei –
ist sie es?
Eine "Meistersinger"-Premiere in München, am Ort der
Uraufführung 1868, zählt für einen Intendanten zum Schwierigsten. Nikolaus
Bachler hat das mit Bravour gemeistert. Bis 2021 wird diese Produktion immer
wieder gespielt – stets mit Petrenko am Pult, stets mit Koch, zumeist mit
Kaufmann. Das hat hohes Kultpotenzial.
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