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Opernglas, September 2015 |
R. Tiedemann |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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SALZBURGER FESTSPIELE - Fidelio |
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Für einen kurzen, doch ewig schönen Moment wird sie Realität, die Utopie von
Freiheit und Liebe, Selbstbestimmtheit und überwundenen Grenzen — ein alle
und alles umfassendes Glück: „O Gott, welch ein Augenblick!" Unmittelbar vor
dem Jubelfinale verschmelzen im neuen Salzburger »Fidelio« Musik und Szene,
ein berauschtes Innehalten in bereitwilliger, selbsttäuschender Hingabe an
den Gedanken einer vielleicht doch möglichen Erfüllung sehnlichster Wünsche.
Für die handelnden Personen ist es eine nur allzu flüchtige Vision, für den
Zuschauer ein magischer, lange nachwirkender Glücksmoment der Oper, der in
seiner eigentlichen Wirkung noch gesteigert wird durch den nachfolgenden,
harten Kontrast, denn weder Dirigent noch Regisseur trauen dem
abschließenden Freudentaumel. Brachial furios, fast gewalttätig bricht das
immer aggressiver behauptete Lob der Gattenliebe herein. Leonore und ihr
zweites Ich zerreißt es geradezu vor widerstreitenden Gefühlen. Florestan
ist gebrochen, findet nicht ins Leben zurück und das Paar fast nicht mehr
zusammen. Die letztlich doch angetretene gemeinsame Flucht nach vorn,
spontaner Ausdruck wiedergefundener, fast kindlicher Lebensfreude, endet
prompt, der Mann bricht zusammen, die Frau ist endgültig allein.
Bilder wie diese prägen die klar fokussierte, minimalistisch wirkende und
doch vielschichtig erzählende Regiearbeit von Claus Guth. Sie ist Resultat
akkuratester Personenführung, Position und Bewegung, Gestik und Mimik sind
bis ins Detail durchchoreographiert, die handelnden Figuren bewegen sich in
minutiöser Taktung zueinander hin, voneinander fort, oftmals aneinander
vorbei, umkreisen sich, bilden Konstellationen, die sowohl sinnhaft als auch
artifiziell und bildmächtig sind, unterstützt durch eine exzellente, im
kongenialen, gut bespielbaren Einheitsbühnenbild (Christian Schmidt) bestens
zur Geltung kommende Lichtregie (Olaf Freese, in Verbund mit Videodesigner
Andi A. Müller), die durchweg prägnante Bilder zaubert und mit ihren
fesselnden, unzählbar variantenreichen Schattenbildern sprechende Kommentare
zur Handlung liefert.
Dass sich hier ein Regisseur seiner bewährten,
vielerorts erprobten Stilmittel bedient, ist kein Manko, im Gegenteil. Die
kühle, fast klinische Schwarzweiß-Ästhetik und das karg abweisende,
hermetisch geschlossene großbürgerliche Salonambiente, bedrohlich
durchbrochen und beherrscht von einem monolithischen schwarzen Kubus, geben
dem Werk eine ins Allgemeingültige wie unbegrenzt Zeitlose gerichtete
Gültigkeit, die Beethovens Freiheitsepos fraglos weiterhin hat und
vielleicht in (alle?) Zukunft behalten wird. Gewiss nicht zufällig stammen
zwei prägnante Bildzitate aus bekannten Science-Fiction-Filmen: der düster
rotierende, zuweilen schwebende Monolith ist deutliche Reminiszenz an
Kubricks „2001", Kostümierung und Bewegung kennzeichnen Don Pizzaro und sein
Gefolge als Wiedergänger der „Matrix"-Agenten in der Wachowski-Trilogie.
Dass sowohl Leonore als auch Pizzaro einen „echten" Bühnen-Schatten haben,
er einen Tänzer, sie eine Gebärdensprachlerin, ist ein weiteres
Guth-Markenzeichen, wobei diesmal, insbesondere im diesbezüglich arg
plakativ geratenen Finale, weniger durchaus mehr gewesen wäre.
Die
fast durchweg packende, höchst stringente Regiearbeit stößt am
Premierenabend dennoch bei einem Teil des Publikums auf lautstarke
Ablehnung, was in keinem Verhältnis zu ihrer (auch handwerklichen) Qualität
steht. Viele begeisterte Premierenbesucher dagegen ließen sich davon aber
ebenso wenig beirren wie zuvor von den herzhaft strichfreudigen Eingriffen
in das Werk: Die (zugegeben nicht unproblematischen) Dialoge sind komplett
entsorgt und durch atmosphärisch dichte Klangkollagen ersetzt, was der
Wirksamkeit dieses »Fidelio« überraschend gut bekommt. Rigoros mit
eingekürzt (um just die gesprochene Passage) ist aber leider auch das
Melodram im 2. Akt — eine ebenso unnütze wie musikdramaturgisch fragwürdige
Maßnahme, die bei aller Kürze jedweden Widerspruch rechtfertigte. Warum sich
Franz Welser-Möst als musikalisch Verantwortlicher zu diesem Eingriff hatte
hinreißen lassen, bleibt ein Rätsel — ebenso der erstaunlich einhellige
Jubel für ihn und die Wiener Philharmoniker, die zwar fehlerfrei und mit
wunderbar üppigem, farbenreichem Klang, aber über weite Strecken auch zu
harmlos und unbeteiligt aufspielten. Erst mit der als Zwischenspiel vor dem
Finale eingeschobenen, bei geschlossenem Vorhang gegebenen 3.
Leonoren-Ouvertüre wird alles anders: ein von innerem Feuer bebendes, am
Limit musiziertes Meisterstück, das den Revolutionär Beethoven endlich in
seiner vollen Wirksamkeit spürbar werden ließ und das Publikum zu spontanen
Bravostürmen hinriss.
Jonas Kaufmann, schon im Vorfeld Garant für
Aufmerksamkeit und exorbitante Kartennachfrage, rechtfertigte seinen
aktuellen Sonderstatus einmal mehr durch eine singuläre Leistung: Die
außerordentlich intensiv gestaltete, herausragend phrasierte und bei aller
vokaler Höchstschwierigkeit sicher intonierte (und zudem bestens
artikulierte) Florestan-Arie hätte in der Tat schon allein den Besuch dieses
»Fidelio« lohnenswert gemacht. Schon der aus einem gequälten Jammerlaut
heraus zu einem mächtigen, schier endlosen emphatischen Aufschrei
anschwellende erste Ton („Gott!") war eine Demonstration exzellenter
Stimmbeherrschung bei tiefster emotionaler Durchdringung. Der Sänger, der
vokal derzeit praktisch in jedem Fach aus dem Vollen zu schöpfen scheint,
überzeugte zudem als hinreißender Darsteller, der hier eine geschundene,
schwer traumatisierte Kreatur glaubhaft auf die Bühne stellte. Obgleich
seine Leonore demgegenüber recht bewegungsarm, fast statuarisch zu agieren
hatte und auch stimmlich etwas dezenter wirkte, stand Adrianne Pieczonka dem
Startenor in der Publikumsgunst nicht nach. Der Sopranistin mag es in
einigen Passagen an dramatischem Aplomb gefehlt haben, was man insbesondere
im so leider etwas unausgewogenen Duett („0 namenlose Freude") bedauern
musste, doch wurde man dafür durch eine wunderbare, in dieser Form höchst
selten zu hörende lyrische Gestaltung auf Linie weit mehr als entschädigt.
Eine ungewöhnlich innige, bewegende Interpretation einer leidenden Frau, die
mit sich und dem schicksalshaften Laufder Welt hadert und daran letztlich
selbst zerbricht. Flankiert wurden die beiden hochkarätigen Protagonisten
von einer souveränen, wenn auch etwas inhomogenen Solistenriege: Hans-Peter
König gab einen balsamischen, in der Höhe ein wenig matten,
intonationsschwammigen Rocco, Tomasz Konieczny einen klangstarken, zuweilen
fast zu grobschlächtigen Don Pizzaro. Olga Bezsmertna gestaltete mit einer
erfreulich üppigen Stimmfarbpalette eine sehr präsente Marzelline abseits
gängiger Besetzungsklischees, Norbert Ernst war dagegen ein auch vokal blass
wirkender Jaquino; auch Sebastian Holecek zeigte als Don Fernando etwas zu
wenig Profil.
Ein Sonderlob gebührt fraglos der grandiosen
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Das von Ernst Raffelsberger
bestens präparierte Kollektiv präsentierte sich ausgesprochen homogen und
stimmstark, der berühmte Chor der Gefangenen geriet zu einem charaktervoll
nuancierten Höhepunkt einer Aufführung, die nachhaltig in Erinnerung bleiben
wird und es durchaus verdienen würde, in künftigen Festspielsommern auf
hohem Niveau weiter perfektioniert zu werden. Der Werkstatt-Gedanke,
insbesondere bei derart maßgeblichen Werken, funktioniert schließlich auch
an der Salzach.
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