Kölner Stadtanzeiger, 05.08.2015
Von Regine Müller
 
Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
Starkes Orchester rettet Guths „Fidelio“-Inszenierung
 
Beethovens Oper „Fidelio“ ist das Highlight der diesjährigen Salzburger Festspiele. Doch auch das Engagement von Superstar Jonas Kaufmann kann über die schwache Inszenierung nicht hinwegtäuschen.
 
Jonas Kaufmann ist in Salzburg derzeit allgegenwärtig. Der attraktive Superstar grüßt von Plakaten und prangt auf Magazin-Titeln. Die PR-Strategie der Festspiele setzt gezielt auf den virilen Sex-Appeal des Tenors, denn Salzburg braucht nun einmal Stars. Erst recht in dieser inhaltlich durchwachsenen und abgespeckten Saison, die nur drei echte Opernpremieren bietet.

Deren dritte ist nun Beethovens „Fidelio“, in dem Kaufmann mit dem Florestan nicht einmal die Hauptrolle verkörpert, sondern erst im zweiten Akt in Erscheinung tritt. Dann allerdings mit jenem spektakulären hohen „g“, das er sozusagen im freien Fall im Piano anstimmen muss, bevor der Höllenritt seiner einzigen Arie ihn davonträgt.

In Salzburg beginnt Kaufmanns heiß ersehnter Auftritt nun aber mit einer Enttäuschung: Denn jener berühmte, alles entscheidende Ton ertönt im Großen Festspielhaus tatsächlich nur aus dem Off, quält sich hervor hinter dem sich bisweilen drehenden schwarzen Kubus im weißen Einheitssalon, mit dem Bühnenbildner Christian Schmidt bereits im ersten Akt zunehmend langweilte.

Schleifende Töne und bröckelnde Piani

Kein Florestan in Sicht. Und das „g“ klingt gaumig, etwas zu tief und flackert unruhig. Jonas Kaufmann singt sich auch später nicht frei, die Stimme klingt eng, er schleift die Töne von unten an, die Piani bröckeln, das Forte klingt stumpf. Auch Adrianne Pieczonka als Leonore singt alles andere als festspielwürdig, ihr Sopran wirkt übersteuert, flirrt in der Mittellage unruhig und bleibt in den Höhen unterm Ton, dafür mit Schärfen.

Dabei erspart Regisseur Claus Guth den Sängern die ungeliebten Dialoge, die er komplett streicht und durch bedeutungsschwere elektronische Sounds ersetzt. Da dröhnt und schnauft es aus dem Off, um die Zeit zwischen den Gesangsnummern irgendwie sinnstiftend zu überbrücken. Die ohnehin holperige Handlung verrätselt dieser Taschenspielertrick aber umso mehr. Denn so bleibt nicht nur die Geschichte reichlich nebulös, auch die Fallhöhe für die dramatisch so hoch drehenden Arien und Ensembles kommt kaum zustande.

Zumal Guth das Bühnenpersonal in minimalistische Bewegungsmuster zwingt und Bob-Wilson-Manierismen aufruft, aber ohne dessen Magie und Timing. Christian Schmidts weißer Einheitsbühnenraum und seine zeitlos neutralen Kostüme zeigen weder Küche noch Kerker, das Ambiente bleibt aseptisch kalt und nichtssagend, selbst die Gefangenen tappen in schneeweißen Anzügen wie in Trance umher.

Kein Knast-Elend, kein Dunkel, kein erlösendes Sonnenlicht. Und keinerlei politische Dimension. Stattdessen raunt das Programmheft vom „Salon des Unbewussten“. Das Befreiungsdrama schrumpft zur privaten Psycho-Kiste. So wird Leonore von einem Gebärdensprache-Double beschattet, auch Don Pizarro hat einen stummen Begleiter, während Florestan wie der Rest des Personals ohne Double bleibt, aber offenbar psychisch krank ist und auch nach seiner Befreiung gestört bleibt. Ein klarer Fall von posttraumatischer Belastungsstörung, das hohe Paar findet sich am Ende nicht, dafür sinkt Florestan (tot?) zu Boden. Sängerisch versöhnen die Nebenrollen, Festspielformat hat einzig Hans-Peter Königs in jeder Hinsicht starker Rocco.

Beifallssturm und Buh-Orkane

Dass Beethovens revolutionärer Geist aber dennoch weht im Großen Festspielhaus, ist einzig Franz Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern zu danken. Welser-Möst hatte vorab bereits selbstbewusst zu Protokoll gegeben, „Fidelio“ sei ja gar keine Oper, sondern „Musik mit einer Handlung“. So denkt der „Fidelio“ denn auch konsequent symphonisch, das grandiose Orchester dominiert den Abend, und das Drama findet nur in der Musik statt.

Beglaubigt durch einen exemplarischen Einspruch kurz vor Schluss. Wenn nämlich nach dem Duett „O namenlose Freude!“ plötzlich der Vorhang fällt und Welser-Möst die 3. Leonoren-Ouvertüre anstimmt und einen derartig emphatischen Furor entfacht, dass danach ein wahrer Beifallssturm losbricht. Beim Schlussapplaus wird folgerichtig der Graben gefeiert, die Sänger ernten freundliche Zustimmung, Buh-Orkane fürs Regie-Team.

Gleiche Kritikerin:
WDR

taz


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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