Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Großes Festspielhaus: FIDELIO – Ungewohnte, aber nachvollziehbare Sicht auf Beethovens Oper. |
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Mit einer Neuinszenierung des „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven legte
Regisseur Claus Guth seine siebte Neuinszenierung bei den Salzburger
Festspielen vor. Wenn auch ungewohnt in seinem Regiekonzept und seiner
Ästhetik, kann diese sicher gewagte Neuproduktion als großer Erfolg gewertet
werden. So sieht es jedenfalls der Rezensent. Einem großen Teil, wenn auch
nicht der Mehrheit des Premierenpublikums – wie vor wenigen Tagen beim
„Ring“ von Frank Castorf in Bayreuth – gefiel diese ganz neue Sicht auf
Beethovens einzige Oper nicht, es gab heftige Buhs, die aber nicht so
nachhaltig erklangen wie jene in Bayreuth.
Was war geschehen?! Guth
hatte sich mit seinem Dramaturgen Ronny Dietrich völlig vom gängigen
Interpretationskanon gelöst, wie er in einem Interview mit Karl Harb von den
Salzburger Nachrichten darlegt. Er versucht die seiner Meinung nach große
Diskrepanz zwischen Banalität (und damit meint er in erster Linie die
gesprochenen Texte und Dialoge) und hohen Themen (der Gattenliebe und des
Freiheitsgedankens) aufzulösen. Dies bewirkt er, indem er das Stück aus der
Perspektive Fidelios erzählt, der immer auf der Bühne zu sehen ist. Adrianne
Pieczonka spielt dieses ungewohnte Rollenprofil als Mann verkleidet
ausgezeichnet und überzeugt mit ihrer klangvollen und gut geführten
Mittellage. In der Höhe klingt ihr Sopran jedoch bisweilen scharf. Christian
Schmidt, mit dem Guth als Bühnen- und Kostümbildner schon lange zusammen
arbeitet, hat einen in den Bühnenhintergrund gerichteten dreieckigen Raum
geschaffen. In dessen Zentrum erscheint ein nach oben hochziehbarer
rechteckiger schwarzer Quader, der auf einer kleinen Drehbühne immer wieder
rotiert und damit diverse Szenen eröffnet bzw. Personen sichtbar werden
lässt. Er legt auch eine Vertiefung im Bühnenboden frei, in der das Grab von
Florestan entstehen soll. In diesem hochabstrakten Raum wird der
herumwandernde Fidelio immer wieder vor neue Situationen gestellt.
Durch die Abstraktion der Optik kann Guth intensiv auf die Situationen der
Protagonisten eingehen, ihre Probleme, Absichten und ihre Psyche klarer
darstellen. Und darum geht es ihm mit seiner Sicht dieser Oper ganz
besonders. Durch das vollständige Weglassen der oft banal wirkenden
gesprochenen Texte und Dialoge, die ohnehin nicht wesentlich zur Beförderung
der Dramaturgie der Oper erforderlich sind – und auf die selbst Beethoven
gar keinen so großen Wert legte – zumal das weitaus meiste ohnehin gesungen
wird, hebt das Regieteam bei guter Personenführung diesen „Fidelio“ auf eine
höhere, ernstere und dramatischere Ebene. Daran beteiligt sind ganz
wesentlich die Klanginstallationen von Torsten Ottersberg, die den großen
Raum genau an den Stellen mit sphärischen Klängen füllen, wenn die
gesprochenen Texte und Dialoge statt finden sollten. Zu Beginn erscheinen
diese Klangformationen noch gewöhnungsbedürftig. Mit zunehmender Spieldauer,
insbesondere im 2. Akt, wird aber immer deutlicher, dass sie durchaus
nachvollziehbar die jeweilige psychologische Situation und charakteristische
Merkmale der Protagonisten wiedergeben. So hört man das tiefe angespannte
Atmen Fidelios, als er die grausame Lage des eingekerkerten Gatten Florestan
erkennt, oder martialische Töne beim Auftreten Pizarros. Dazu kommen ein
gutes Videodesign von Andi A. Müller und eine ausgezeichnete Lichteregie von
Olaf Freese. Die Schattenbildung der Sängerdarsteller auf den weißen
Bühnenwänden scheint viel Psychologisches auszusagen. Sie macht die Figuren
größer und damit dominanter.
Der Chor tritt hier ebenfalls in
abstrakter, einheitlich weiß (Unschuldsfarbe) gekleideter Form auf. Er wirkt
damit besonders als ein großer Appell an die Freiheit, die den Individuen
genommen wurde. Auch hier findet also eine Überhöhung der Vorlage Beethovens
statt. Guth sieht den Chor (Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) unter
der Leitung von Ernst Raffelsberger damit als die „akustische Vergrößerung
einer Vision“, als einen „Klang-Körper“, womit auch das Off des
Schlusschores erklärt wäre. Denn diese Vision geht im individuellen Bereich
von Fidelio und Florestan am Ende nicht auf. Ihr Mann ist so gebrochen von
der Einzelhaft im Dunkel des Kerkers, dass er kaum noch zur Wahrnehmung
seiner Rettung in der Lage ist und lange auch kaum zu verstehen scheint,
dass es seine Frau ist, die ihn hier vor dem sicheren Tode gerettet hat. Als
er dann endlich zu einer liebevollen Umarmung ansetzt und mit ihr zum
Bühnenrand nach vorn stürmt, bricht er tot zusammen.
Jonas Kaufmann
sang und spielte den Florestan mit unglaublicher Intensität und Empathie.
Schon sein erster Ton, ein wie aus dem Nichts entstehender Schwellton auf
das „Gott, welch Dunkel hier…“ ließ einen erschauern. Kaufmanns
Phrasierungskunst und Höhensicherheit sind erstklassig, er war somit der
Star des Abends. Wenn dieser Schluss auch gegen die Musik von Beethoven
steht, so ist das von Guth gewählte Ende doch völlig nachvollziehbar. Denken
wir nur an die traurige Zahl der politischen und sonstigen Gefangenen, die
jahrelang im Kerker in Einzelhaft völlig gebrochen werden und bei einer
eventuellen Rückkehr in die Freiheit größte psychische Schäden mitnehmen…
Eines nur war bei diesem realistischen, aber gleichwohl in abstrakten
Bildern gezeigten Regiekonzept nicht nötig. Guth scheint jedoch nahezu
zwanghaft immer wieder daran festzuhalten: Sowohl Fidelio als auch Pizarro
wurden gedoubelt. Das erschien bei der Klarheit der Personenführung und der
Intensität der Szenen völlig entbehrlich, ja störte bisweilen sogar. Aber
auch der Regisseur sieht das als Experiment an. Er möge es künftig
weglassen. Sein „Fidelio“ ist auch so stark genug in Bild und inhaltlicher
Aussage…
Die übrige Sängerschar war gut bis sehr gut besetzt. Tomasz
Konieczny schon mit der Rolle des Pizarro überzeugender klar zu kommen als
mit seinem Wotan. Er spielte den Feind Florestans mit akzentuierter Gebärde
und kräftiger Stimme, die nur gelegentlich auf den oft nasalen Klang seines
Bassbaritons hinwies. Hans-Peter König ließ als Rocco seinen gewaltigen bass
erklingen wirkte aber wie immer schauspielerisch zu passive. Es wirkte ein
Fach zu bass um dem geschehe auf seinem gebiet Impulse zu verleihen. Die
Marzelline war ansprechend mit Olga Bezsmertna und der Jaquino ebenso gut
mit Norbert Ernst besetzt. Sebastian Holecek sang den Don Fernando mit
großer Autorität. Einmal mehr erinnerte er daran, dass er sich auch mal mit
den „Rheingold“-Wotan und dem Wanderer beschäftigen sollte…
Der
„Schatten“, also das double der Leonore war Nadia Kichler, die auch die
Gebärdensprache einsetzte. Der schatten von Don Pizarro war Paul Lorenger.
Der 1. und 2. Gefangene wurde von Daniel Lökös und Jens Musger aus der
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) gesungen.
Ein großes Plus
für das Gelingen dieser Neuinszenierung waren die Wiener Philharmoniker
unter der Leitung von Franz Welser-Möst. Er dirigierte mit großer Dynamik
die symphonischen Momente. Insbesondere die Leonoren-Ouvertüre verbreitete
transparente und vielfach facettierte Klangschönheit bei großer Dynamik und
herrlichen Steigerungen. Der Dirigent ging stets gut auf die Sänger ein.
Akustisch war ohnehin mit dem nach hinten geschlossenen dreieckigen Raum
alles zum Besten bestellt. Ein großer Abend im Großen Festspielhaus! |
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