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Merkur, 06.08.15 |
Markus Thiel |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Odyssee im Kaltraum |
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Salzburg - Claus Guth kühlt „Fidelio“ bei den Salzburger Festspielen herunter, dafür laufen die Wiener Philharmoniker heiß. |
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Meistens brummt und stürmt es aus den Lautsprechern, manchmal hört man auch
ein Wispern, Atmen, einmal das „Piiiep“ einer EKG-Nulllinie. Doch eigentlich
wartet man als Filmfan aufs tiefe Orgel-C, aus dem sich die Trompete zur
„Zarathustra“-Fanfare erhebt, wahlweise auch auf den Donauwalzer. Im Graben
säße dazu sogar das passende Orchester, um den schwarzglatten Riesenquader
aus Kubricks „2001“ musikalisch zu kommentieren. Doch die Wiener
Philharmoniker haben Beethoven auf den Pulten, und es geht heute nicht um
Außerirdisches und einen wahnsinnigen Computer, sondern um Gattenliebe und
illegale Haft, was man sich gemeinhin bei „Fidelio“ eben so denkt.
Claus Guth, Regisseur dieser Salzburger Festspielpremiere, denkt sich
anderes. Das Politische interessiert ihn weniger, Unterdrückung, Gefängnis
und verlorene Liebe, das sind bei ihm keine Themen, die sich an äußerlichen,
sozialen Zuständen festmachen ließen. Wie immer bei Guth eigentlich, der
sich seit Jahren an den Traumata großbürgerlicher Familienhöllen abarbeitet
und lieber Blicke ins Hirn als auf die Gesellschaft wirft. Auch Christian
Schmidts hohes, weißes, stuckverziertes Zimmer mit dem Intarsienparkett, in
dem der „2001“-Monolith Bedrohung signalisiert, ist also ein Innen-Raum. Die
Figuren erleben weniger die Begegnung mit anderen, sondern eine viel
schlimmere, die mit sich selbst. Und dies sogar gedoppelt: als
Schattenrisse, wofür Olaf Freese mit seiner genauen, grandios-subtilen
Lichtregie verantwortlich ist, oder, im Falle von Leonore und Pizarro, als
wortlose Zwillinge. Überhaupt wortlos: Seit jeher verursachen ja die
gespreizten Sprechtexte des „Fidelio“ Konzeptanfälle. Guth streicht sie ganz
und ersetzt sie durchs stumme Spiel. Auch das ist nicht neu, bereits
Nikolaus Lehnhoff hatte das 2003 gewagt – ausgerechnet hier, im Großen
Festspielhaus, mit Simon Rattle am Pult.
Leonores „Schwester“ hat
beim Kollegen Claus Guth freilich noch mehr zu tun. In hektischer, fast
panischer Gehörlosensprache übersetzt sie das Geschehen. Einmal wird sie vom
singenden Original ausgebremst: Adrianne Pieczonka legt die Arme begütigend
um sie und darf ihre Arie – gottlob – in Ruhe zu Ende bringen. Guths Regie
kühlt den Abend auf eine Versuchsanordnung herunter. Eine Odyssee im
Kaltraum. Bedrohung kommt nicht nur von Pizarro und dessen sonnenbebrillter
(Chor-)Vervielfältigung aus den „Matrix“-Filmen, die Gefahr lauert auch bei
Rocco und sogar bei Jaquino, der seine Marzelline einmal im
Schraubstockhandgriff festhält.
Was genau mit dem gefangenen
Florestan passiert ist, erfährt man nicht. Jonas Kaufmann hat dazu seine
neurotischen Zuckungen aus Calixto Bieitos Münchner „Fidelio“ importiert –
ein schwer Gezeichneter, der wie ein Tier vor Leonore davonkriecht, den
Schlusschorjubel nur imaginiert und am Ende, als sich ihm die Gattin nähert,
zusammenbricht. Der Monolith ist weg, dafür funkelt nun ein Kronleuchter.
Hoffnung, die wird von Claus Guth negiert. Politisches ohnehin. Sein
Figurenschachspiel, unter viel Prämissenschweiß aus der reinen Draufsicht
geboren und mit heftigen Buhs abgestraft, fügt dem Stück auch gar nicht so
viel hinzu. Man ist fasziniert von der Atmosphäre, von der schmucklosen
Choreografie und den Bildwirkungen – aber sonst?
Einen Moment gibt es
freilich, da spricht das Stück in all seiner Plastizität und seiner ganzen
Wucht zu uns. Bezeichnenderweise bei geschlossenem Vorhang: Wie einst von
Otto Nicolai erdacht und von Gustav Mahler fortgeführt, spielen die Wiener
Philharmoniker im zweiten Akt die dritte „Leonoren“-Ouvertüre. Es ist ein
Mini-Konzert, auch eine Kapitulation, da der Regie dazu nichts einfällt, vor
allem ist es ein Befreiungsschlag. Schon zuvor hatte Franz Welser-Möst die
Musiker angetrieben. Ein Dauer-Brio ist zu hören, ein überscharfes, fast
penetrant ausgestelltes Klangrelief. Aber jetzt, in der Ouvertüre, platzt
der Knoten. Auf einmal ist auch der andere Beethoven zu vernehmen, der
Radikale, der Schrankeneinreißer, der Welten- und Himmelsstürmer. Und es
scheint, als ob sich die Musik plötzlich gierig jene Leerstellen erobert,
die in der Inszenierung klaffen.
Im Finale, auch so ein
Regieproblemkind, wird der Chor hinter die Szene verbannt und damit der
sonst körperlich spürbare Furor erheblich gemildert. Warum dies Welser-Möst
zuließ, auch die Kürzung und Verzerrung des Melodrams, da bei Guth
gesprochene Worte tabu sind, bleibt sein Geheimnis. Dass der Graben mit dem
Orchester auf „Karajan-Höhe“ gefahren sind, ist ein Problem. Gesang wird,
zumindest im Parkett, zum Klangornament. Am besten kommt damit Jonas
Kaufmann zurecht. Die holzig und trutzig exponierten Macho-Töne dringen
durch und imponieren wie immer, obgleich alles unter Druck erkauft ist –
auch Piano-Momente wie das sehr lang und stufenlos hochgepegelte „Gott“ am
Beginn der Arie. Tomasz Konieczny begegnet als Pizarro der Situation mit
riskant aufgerissenen Tönen, Hans-Peter König gestaltet, das spricht sehr
für ihn, einen nachdenklichen, lauernden Rocco. Luxuriös besetzt die
kleineren Partien mit Olga Bezsmertna (Marzelline), Norbert Ernst (Jaquino)
und Sebastian Holecek (Fernando).
Titelheldin Adrianne Pieczonka
hätte man einen anderen Rahmen gewünscht. Die kluge Textabwägung im Leisen,
die üppig jubilierenden Spitzen, das substanzreiche Phrasieren in der
Mittellage, all das scheint nicht richtig zu verfangen und wie aus einer
anderen Aufführung hierher verpflanzt. So wie es überhaupt zum Paradox
kommt, als habe sich das Bühnengeschehen von der Musik entkoppelt.
Reduzieren, wie es sich Claus Guth vornahm, kann man den „Fidelio“ durchaus.
Alle seine Facetten ignorieren allerdings weniger. |
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