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Die Presse, 05.08.2015 |
Von Wilhelm Sinkovicz |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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„Fidelio“: Nur Narren träumen von der Erlösung |
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Claus Guth inszeniert „Fidelio“ in Salzburg ohne Dialoge und gliedert den Ablauf stattdessen mit Geräuschkulissen. Unter Franz Welser-Möst singen Jonas Kaufmann und Adrianne Pieczonka heldenhaft gegen beängstigende Riesenwände an. |
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Man kann einen Klassiker natürlich auch vorsätzlich ruinieren. Claus Guth,
der ja schon nicht davor zurückgeschreckt ist, Richard Wagners
„Tannhäuser“-Schluss zu desavouieren und – in der aktuellen Produktion der
Wiener Staatsoper – den Pilgerchor als Ansammlung von armen Narren im
Irrenhaus zu zeigen, verweigert auch dem „Fidelio“ jegliche positive, gar
utopische Schlusswirkung.
Er denkt offenbar gar nicht daran, sich
darauf einzulassen, jenes Stück, das Beethoven komponiert hat, zu
inszenieren, sondern bringt stattdessen eine Collage aus den musikalischen
Nummern der Oper auf die Bühne. Das geschieht immerhin in der Reihenfolge
der Partitur, aber getrennt durch Klangbilder aus Atem-, Wind- und sonstigen
Geräuschen, die, akustisch verfremdet, anstelle der Dialoge stehen.
Wovon handelt „Fidelio“?
Worum es in „Fidelio“ geht, erfährt man also
im Salzburger Festspielhaus nicht mehr von den handelnden Personen, denn sie
dürfen nicht sprechen. Nun darf man bei Festspielen vielleicht ein
Publikum voraussetzen, das die Stücke gut kennt und eher neue Aspekte als
das Stück wie (zumindest bis vor Kurzem allenthalben) gewohnt in seiner
Gesamtheit beleuchtet sehen möchte.
So gesehen, wäre Guths
„Fidelio“-Verballhornung als eine Art Kommentar für Kenner zu verstehen. Der
Reaktion nach zu schließen, pfeifen diese im wahrsten Sinn darauf.
Vermutlich hätten sie doch lieber die Oper gesehen, die im Programmheft
angekündigt ist. Dies findet freilich nicht statt. Zusammenhanglos erleben
wir zunächst die Singspielszenen des ersten Bilds – mit Figuren, die in
anderem Zusammenhang als prägnante Darsteller bekannt sind, ohne Chance auf
schauspielerische Entfaltung allerdings völlig verloren sind: Marzelline
(Olga Bezsmertna) und Jaquino (Norbert Ernst) kippen sozusagen wie nutzlos
gewordene Marionetten aus dem Spiel, sobald der Bösewicht die Szene betritt,
einen Raum, von überdimensionierten Holzvertäfelungen begrenzt, in dem unter
einem sich drehenden schwarzen Kubus irgendwann ein gigantisches Grab
sichtbar wird (Dekors: Christian Schmidt).
Wie Leonore erscheint auch
Don Pizarro mit einem (im Kerkerbild vervielfachten) Double. Nur der sonore
Rocco Hans-Peter Königs bleibt mit sich und seinem Bestechungsgeld allein.
Die Titelheldin unterhält sich mit ihrem Alter Ego in Gebärdensprache,
Pizarros Schatten fungiert in Florestans Monolog sozusagen als
Albtraumnegation des „Engels Leonore“.
Rettung? Alles nur
Wahnvorstellung!
Da wird in platter Pantomime Dramaturgenpsychologie
betrieben, während wesentliche Momente der Handlung – und berührende Phrasen
des Textes – ganz einfach unter den Tisch gewischt werden. Was das berühmte
Melodram betrifft, greift man damit sogar in die musikalische Struktur ein;
und der Schlusschor erklingt (vom Staatsopernchor offenbar sauber gesungen)
aus dem Off! Der verwirrte Minister Sebastian Holeceks, der sichtlich
nicht begreift, wohin ihn „des besten Königs Wink und Wille“ da verschlagen
hat, predigt im wahrsten Sinn des Wortes – dafür aber wohltönend – zu einer
Wand.
Franz Welser-Möst manövriert die Sänger und die Wiener
Philharmoniker umsichtig durch all diese Fährnisse und an allen
Geräuschbojen, die sogar das (verkürzte!) Melodram durchziehen, vorbei bis
zur gottlob bei geschlossenem Vorhang musizierten Leonoren-Ouverture, deren
mitreißender Elan dann den ersten und einzigen Jubelsturm dieses Abends
provoziert.
Feine Klangnuancen wie etwa der in zartestem Pianissimo
der tiefen Streicher und des Klarinettenduetts modellierte Beginn des ersten
Quartetts hustet und räuspert das Auditorium zu Tode. Man rechnet angesichts
der Insensibilität der theatralischen Umsetzung offenbar nicht mit
musikalischen Feinheiten . . .
Bewegender Klagelaut
Gesungen
wird kraftvoll im für das große Haus nötigen Heldenton: Adrianne Pieczonka
geht dabei spürbar an die physischen Grenzen ihres Soprans, Tomasz Konieczny
wütet als Pizarro entsprechend markig und sinister. Nur Jonas Kaufmann
bringt auch lyrische Qualitäten ins Spiel: Das aus dem Nichts zum
herzzerreißenden Klagelaut anschwellende „Gott“, mit dem der zweite Akt
beginnt, hat einst Leonard Bernstein von René Kollo verlangt: Kaufmann sorgt
für ein bemerkenswertes Déjà-entendu-Erlebnis, besitzt für die folgende Arie
dann aber wirklich alle Qualitäten vokaler Entfaltung. Sein dunkel und
männlich timbrierter Tenor nimmt leuchtende, geradezu strahlende Färbung an,
wenn er von der Erlösung träumt.
Einer Erlösung, die ihm in dieser
Inszenierung verwehrt bleibt: Die Final-Euphorie, schon durch die Absenz des
Chors akustisch empfindlich beeinträchtigt, erlebt dieser Florestan,
zerstört von den Folterqualen der Gefängnishaft, nur noch als Seelenpein. Er
bricht zuletzt unerlöst zusammen.
Während Leonores Double zu den
Schlussklängen wie verrückt gestikuliert, freut sich wohl mancher
desillusionierte Festspielgast schon auf die nächste Salzburger-Produktion
der Beethoven-Oper: Vielleicht findet sich in dieser dann das Stück
ernsthaft widergespiegelt. |
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