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Südtirol online, 5. August 2015 |
C. F. Pichler |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Salzburger Festspiele: „Fidelio“-Premiere als Magie des Augenblicks |
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Im grandiosen Gedicht von Ingeborg Bachmann „Erklär mir, Liebe“ wird das
Glücksbestimmende allein dadurch unterbrochen, weil vor dem alles
entscheidenden Wort „Liebe“ ein trennender Apostroph steht, der das
Unerklärbare heraushebt. Bei Beethovens „Fidelio“ wird hingegen die eheliche
Liebe durch eine manisch-politische Willkür getrennt, wenn die liebende
Gattin Leonore ihren Gatten Florestan aus einer realen Gefangenschaft
befreit. Wenn nun bei der herbeigesehnten Premiere „Fidelio“ die
Beethoven’sche Welt des alles überbordenden Freiheitspathos durch Franz
Welser-Möst, Dirigent,und Claus Guth, Regie, stattfindet, dann wird das zur
Magie des Augenblicks.
Die geschichtliche Rezeption von „Fidelio“,
der einzigen Oper von Beethoven, beginnt schon mit der Entstehung, denn
obwohl die Handlung zur Zeit der französischen Revolution aus einer realen
Geschichte in Tours entspringt, wurde die Urfassung „Leonore“ 1804 in Wien
kaum beachtet. Es dauerte weitere zehn Jahre bis die Oper unter dem Titel
„Fidelio“ 1814 zur zum Synonym für die Freiheit oder für die Befreiung
wurde, wobei dieses pathetisch-beladene Begriffspaar Befreiung/Freiheit doch
verdächtig dasteht, weil es (bis heute!) keinen Frieden gibt.
Als
Mann verkleidet dringt Leonore unter dem Namen Fidelio in das jakobinische
Gefängnis ein, um das Vertrauen des Kerkermeisters (Rocco) zu gewinnen,
wobei sie mit bewegender Weiblichkeit suchend ihren Florestan findet, der
vom tyrannischen Gouverneur Pizarro durch Aushungern totgeweiht in Siechtum
verfallen ist. Doch wirklich ganz zum Schluss, als Pizarro Florestan
vernichten will, weil sich der Besuch des feudalen Ministers Don Fernando
ankündigt, tritt Leonore dazwischen und ruft: „Töt erst sein Weib!“
Claus Guth verzichtet auf die Sprechdialoge und inszeniert ein
traumatisierendes-schönes Schattenbilddrama
Dass Regisseur Claus Guth
die ohnehin singspielhaften-naiven Sprechdialoge kompromisslos streicht und
stattdessen einen fantastischen Sounddesign einspielen lässt, mag zunächst
irritieren, weil es neu und ungewöhnlich ist, doch die Geschichte wird vom
ersten Ton verständlich wie von einem anderen Stern.
Die ganze
Handlungsebene wird durch sowohl durch die Bühne, als auch durch die
geschichtsträchtigen Kostüme von Christian Schmidt zu ereignisdichten
Gefühlsinseln, die mit dem dramaturgisch fabelhaft eingesetzten Licht (Olaf
Frese) ihre berührende Einheit finden. Gerade diese feudale
Bühnenarchitektur mit einem suprematistischen schwarzen Kubus in der Mitte à
la Kasimier Malewitsch macht die Menschen lächerlich und charakterisiert sie
mit einem stupenden Schattenspiel in verschiedenen Stilkostümen.
Alles wirkt so zeitlos in einer Welt, wo so viele Menschen ohne Grund im
Gefängnis sitzen, weil sie eine Gefahr für willkürliche Regime sind. Die
Frage, ob es eine Gerechtigkeit, die der Welt eine neue Schwere gibt, stellt
sich Guth bei der phantasmagorischen die Doppelung der Personen Leonore und
Pizarro. Wenn Nadia Kichler als Leonore/Schatten mit einer taubstummen
Gebärdensprachen die Handlung kommentiert und mitspielt, dann ist das
schlicht ergreifend, etwa beim Quartett: „Mir ist, so wunderbar erklingt,
oder wenn Leonore „Komm Hoffnung… „singt! Der magischste Augenblick, ja
wirklich nur einen winzigen Augenblick, wird dann sichtbar, wenn Leonore
„die LIEBE wird’s erreichen“ in ihrer Arie singt, denn das sehen wir ein
großes Fotoporträt von Florestan (Jonas Kaufmann) auf dem schwarzen Kubus,
wie übrigens ganz kurz auch bei der Fidelio – Ouvertüre!
Heißt dieser
Bild-Apostroph nicht wie bei Ingeborg „Erklär, mir Liebe“?
Guth
inszeniert konsequenterweise keine reale Handlung, sondern versucht es mit
den wunderbaren Mitteln der Poesie die er mit spürbarer Sicherheit aus der
Musik und aus dem Sounddesign gewinnt. Dass diese wunderbare Lesart
abgelehnt wird, zeigt wiederum auch von Unverständnis, denn Guth
charakterisiert die Personen sehr genau. Zunächst erscheint die Lenore –
sehr gut dargestellt und teilweise auch dramatisch gut gesungen von Adrianne
Pieczonka – wir ihr Schatten in Stiefeln, Hosen und Gehrock, während der
Kerkermeister Rocco (brav, unauffällig, aber doch sehr präsent Hans-Peter
König) mit seinem feudalen Gewand noch die alte, bürgerliche Schule
repräsentiert.
Dagegen stellt sich die Jugend von Marzelline
(herrlich und endlich entfernt vom Singspiel Olga Bezsmertna) und Jaquino
(verlässlich, etwas verhalten der lyrische Tenor Norbert Ernst) im klassisch
schönen fallenden Damenrockkleid und im studentischen Anzug mit Mascherl.
Naturgemäß ganz im fürchtenden Schwarz erscheinen der gramgebeutelte Pizarro
und sein Schattenego (Paul Lorenger), das alleweil ihn mit dem Dolch
beseitigen will.
Thomas Konieczny zeigt viel Charakter von
schwärzester Melancholie, doch bei seiner baritonal hochliegenden
Timbrierung sind die hartausgesprochenen slavischen Konsonanten
unüberhörbar. Der Don Fernando von Sebastian Holecek verdient auch deswegen
genannt zu werden, weil er in einem Frackkostüm auftretet, der wohl die alte
Ordnung (der depressiven Metternich-Zeit) wieder herstellen will! Ja, ja,
zur Freiheit, zur Freiheit „ins himmlische Reich“ tönt es bei Florestan!
Frage: Gibt es wirklich nur im himmlischen Reich auch Frieden?
Jonas
Kaufmann nur teilweise packender Florestan, Welser-Möst aber ein sehr guter
„Fidelio“-Dirigent
Da Florestan ja unter bitterer Not und
vorgezogener Schwachheit während der Gefängnisschmach nicht nur psychisch,
sondern auch unter schmerzlicher Physis leidet, nimmt er naturgemäß die Welt
war wie ein unter Psychopharmaka stehender Neurotiker, wenn er etwa
unkenntlich sogar die Nahrung von Leonore nicht annimmt. Deshalb hat Guth
ihn folgerichtig als konvulsiv zuckenden Jüngling weit ab von aller Realität
dargestellt. Jonas Kaufman beeindruckt mit wirkungsmächtiger palliativer
Abwesenheit, wenn er sich zur Liebe, (Apostroph?) für Leonore unfähig zeigt.
Sein bitteres Erwachen aus dem Gefangenentrauma lässt anderes gar nicht
zu, aber Leonore, die zentrale Gestalt, die humanste Frau und Gemahlin der
Gegenwart, wird ihn retten. Wohlgemerkt: Die Frau! Kaufmann singt die
höllisch schwere Eröffnungsarie sehr gut, wirkt aber in der Summa doch sehr
routiniert in Duetten oder Ensembles. Auch bei ihm ist es ein Glück, dass
die dummen Sprechdialoge: „Leonore, was hast du für mich getan!?“ wegfallen,
weil sie nur zur Verkitschung der selbstverständlichen Gattenliebe (ohne
Apostroph!!) dienen.
Dazu liefern der Dirigent Franz Welser-Möst und
die Wiener Philharmoniker den unvergleichlichen Liebesmusikatem mit einer
durchlaufenden Affektivität. Vielleicht klingt vieles, oder manches zu
aggressiv, auch zu laut, wohl weil Welser-Möst den Orchestergraben auf den
höchsten Level hochfahren hat lassen. Aber die feinziselierte
Durchsichtigkeit des Klanges und die wundervoll begleitenden Holzbläser
atmen mit den Sängern, dabei ist leicht nachzuweisen, dass Beethoven nicht
gut instrumentiert, was bei der Beurteilung der Singstimmen unbedingt zu
berücksichtigen ist, wenn etwa der Gesang der Leonore im Tuttiklang
untergeht.
Es gibt natürlich gleich zwei Mal Sonderapplaus, wenn die
3. Leonoren-Ouvertüre, diese Beethoven’sche Ausnahmediva vor geschlossenem
Vorhang und vor dem Schlusstableau erklingt, was dramaturgisch sowieso
fragwürdig und eigentlich eine (Un)-Sitte von Gustav Mahler ist, der das
erstmals eingeführt hat. Jedoch es muss wohl so sein, und im Schlussbild, wo
der prächtige Wienerstaatsopernchor als Volk beim feudalen Empfang des
Ministers naturgemäß nicht im Palais unter wuchtigen Glitzerluster sein
darf, also hören wir nur die Stimmen, ist die alte Ordnung wieder
hergestellt. Wenn Adorno in seiner „Minima Moralia“ Untertitel: „Reflexionen
aus dem beschädigten Leben“ schreibt: „Es gibt nichts Harmloses mehr“, dann
ist dieser Fidelio eine reflektierenden Antwort auf eine gerechtere Welt die
nichtmehr harmlos sein darf! Eine Utopie? Nein, nein! Eine Liebe, die Welt
erklärt!(unbedingt zu sehen am 13. August um 20.15 Uhr auf ORF 2)
P.
S. Ein Kuriosum! In der Pause fragte ein betagtes Ehepaar eine junge
Programmverkäuferin: „Singt der Jonas Kaufmann heute noch?“ Antwort: „Ich
weiß es nicht!“ (Florestan (also hier Kaufmann!!) tritt erst im 2. Akt, also
nach der Pause auf! |
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