Salzburger Nachrichten, 05.08.2015
Von Karl Harb
 
Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
 
Das Experiment "Fidelio" im Festspielhaus 
 
Franz Welser-Möst und Claus Guth gelang im Großen Festspielhaus eine intelligente, diskutierenswerte Produktion von Beethovens "unmöglicher" Oper. Aber . . .
 
Die 3. Leonoren-Ouverture, an der obligaten Stelle zwischen dem Duett "O namenlose Freude" und der Schlussszene angesiedelt und vor geschlossenem Vorhang gespielt, geriet den Wiener Philharmonikern und ihrem Dirigenten Franz Welser-Möst zu einem instrumental-dramatischen Lehrstück von verblüffender, fulminanter Qualität: wortlose Zusammenfassung des Dramas und Vision in einem, aus subtil tastendem Anfang zu rasendem Furor gesteigert, straff und schneidig akzentuiert und dennoch mit unglaublich detailreichen Klangfinessen ausgestattet, ohne ein Gramm Fett noch gar mit hohem, hehren Pathos aufgeladen.

Das zeichnete die gesamte Gangart dieser bemerkenswerten "Fidelio"-Interpretation aus: Nummer für Nummer mit eigener Kontur, ungeschönt im Ausstellen von Beethovens Radikalismus, schon im "Singspiel"-Gestus der ersten Szenen, die so schwer ins folgende Geschehen zu integrieren sind, gewichtiger als gewohnt und dadurch auch bedeutungsvoller, ohne deswegen den leichte(re)n Ton aufgeben zu müssen. Man hatte den Eindruck, Welser-Mösts gründliche Exegese des Musiktextes reinigt und befreit das schwierige Stück zu neuer Kenntlichkeit.

Ein Sängerensemble, das zu klein geraten ist
Wie schade, dass das dafür aufgebotene Sängerensemble bei aller Akkuratesse, bei allem individuellen Können gerade für die Dimensionen des Großen Festspielhauses um Deutliches zu klein geraten ist. Mit Ausnahme natürlich des Tenorstars, dessentwegen viele Premierengäste sich wahrscheinlich um die Karten rissen: Jonas Kaufmann. Sein Florestan ist viel erprobt, er spielt in der kurzen, aber fordernden Partie seine ganze tenorale Routine aus und stellt nach dem Willen des Regisseurs Claus Guth mit hohem Glaubwürdigkeitsfaktor ein nervös zuckendes, von den Ereignissen schmerzhaft überwältigtes psychisches Wrack (dessenungeachtet von viriler vokaler Gesundheit) in den ortlosen, über Eck gebauten geschlossenen Raum mit einem schwarzen "Schicksalsquader" als einzigem mobilem Element (Ausstattung: Christian Schmidt).

Adrianne Pieczonka ist eine ordentliche, aber kaum außerordentliche Leonore, begleitet von einem Alter ego, das in Gebärdensprache offenbar ihre Gedanken in Gesten übersetzt (Nadia Kichler), Tomasz Konieczny ein kaum je bedrohlicher Don Pizarro (mit schwarzem Tänzer-Double: Paul Lorenger), Hans-Peter König ein vor Bonhomie strotzender, gravitätischer Rocco in behaglichem Bürger-Outfit mit Gehstock auch im (gar nicht vorhandenen) Kerker, Olga Bezsmertna und Norbert Ernst sind ein perfekt gecastetes Kleinbürgerpaar, Sebastian Holecek gibt den Minister als behäbigen Deus ex machina-Beamten. Allesamt haben sie die Stimmen, die in mittleren und größeren Häusern angemessen klingen würden, im Riesenhaus in Salzburg aber seltsam konturlos, fast wie entindividualisiert wirken.

Anti-realistisch und anti-psychologisch
Regisseur Claus Guth tut kaum etwas dazu, die Figuren schärfer zu fassen. Er inszeniert bewusst anti-realistisch und anti-psychologisch lauter Verlorene, Gefangene in sich selbst. Das ist sehr konsequent und viel weniger blass als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Schattenspiele dieser seltsamen einsamen "Wanderer", die Verdopplungen und "Einfrierungen" haben im Licht von Olaf Freese durchaus erkennbare Bedeutung, nicht nur artifiziell unterkühlte ästhetische Wirkung. Guth und seine Dramaturgin Ronny Dietrich strichen konsequent alle Dialoge, setzten dafür ein vages Sounddesign (Torsten Ottersberg) ein, das von Nummer zu Nummer überleitete. Kein Erklärstück ist das, kein "Hohes Lied der Gattenliebe", keine Befreiungsoper, sondern ein offenes, karges, kaltes Experiment. Zu welchem Ende, darüber darf man nachdenken.

Und das ist inmitten all der bejubelten Zirkus- und Clowns- und Unterhaltungsszenarien dieses Sommers ohnehin schon viel: sozusagen deutlich mehr Tiefgang als die 18 Zentimeter im Shakespearebecken von Hallein. Das aber kann das Festspielpublikum komischerweise schon auch ziemlich verstören und aufbringen: Wildes Afterlautgebrüll setzte sich beim Erscheinen des szenischen Teams deutlich gegen dagegengehaltene Bravi durch. Und auch Franz Welser-Möst scheint, deutlich milder, aber hörbar, ein paar Gegner im Publikum gehabt zu haben.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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