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nmz, 11.12.2015 |
Von Frieder Reininghaus |
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Berlioz: La damnation de Faust, Paris, Opera Bastille, 8. Dezember 2015
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Alvis Hermanis: ein bisschen Mephisto sein? |
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„La Damnation de Faust“ von Hector Berlioz, dirigiert von Philippe
Jordan, szenisch aufbereitet von Alvis Hermanis an der Opéra Bastille in
Paris. Frieder Reininghaus klärt uns über die unselige Rolle des Regisseurs
zwischen Theater und Politik auf.
Alvis Hermanis hat sich
dieser Tage in Deutschland eine Feuilleton-Schelte zugezogen, weil er die
Zusammenarbeit mit dem Thalia-Theater in Hamburg aufkündigte. Er ist mit
dessen „Willkommenskultur“ für Bürgerkriegsflüchtlinge nicht einverstanden.
Der aus Lettland stammende Regisseur vertritt im Kern dieselbe Position wie
die Regierungen in Osteuropa oder die inzwischen offensichtlich
mehrheitsfähige Chefin des Front national in Frankreich: Man möge
muslimische Flüchtlinge nicht aufnehmen, da von ihnen potentiell
terroristische Gefahren ausgehen. Damit – es war eine Frage der Zeit –
stellte sich erstmals ein prominenter Theaterschaffender in die wachsende
Front der Kräfte, die mit der Hinwendung zu autoritären
Nationalstaatskonzepten, Aushebelung demokratischer Grundrechte und
gegebenenfalls auch Antisemitismus die Abschottung ihrer teils zwergenhaften
Länder betreiben (und damit deren geopolitische und kulturelle
Marginalisierung). Während die Debatte köchelte, leitete Hermanis an der
Opéra Bastille die Endproben zu „La Damnation de Faust“ von Hector Berlioz –
einem Stück, das von seinem Wortlaut her mit solch garstigen
Gegenwartsfragen nichts zu schaffen hat.
Unter strengen
Sicherheitsvorkehrungen brachte die Nationaloper in Paris die dritte
beachtliche Produktion der Saison 2015/16 heraus. Zugangskontrollen wie an
Flughäfen. Etwa die Hälfte der Soldaten mit den Maschinenpistolen an der
Place de la Bastille scheint maghrebinischer Abstammung. Unter denen, die
die künstlerische Arbeit von Alvis Hermanis schützen, dürften nicht wenige
Muslime sein.
Die Légende dramatique zu Goethes Faust, ein
Episoden-Werk aus den 1840er Jahren, lässt in Ermangelung einer stringenten
Handlung der Interpretation weiten Spielraum. Es bedarf, wenn nicht
(semi-)konzertant dargeboten wird, dezidiert der szenischen „Deutung“.
Insbesondere gilt dies auch für die Erfüllung mehrerer längerer
Musikstrecken ohne Text (Ungarischer Marsch, Vor- und Zwischenspiele), für
die große Szene der Gnomen und Sylphen, den Höllenritt etc. Das Pariser
Corps de ballet erhielt in engem Verbund mit Chor und Extrachor eine Suite
von fulminanten Auftritten. Die Choreographin Alla Sigalova ordnete die
Zuarbeit für das Regie-Konzept von Hermanis: Vom Stillstehen für das
Evaluierungsverfahren einer menschlichen Elite, die den Geist des Dr. Faust
ins All zu tragen verspricht, über Ausdruckstanz zu den gedämpft
martialischen Klängen aus der ungarischen Ebene bis zu erotischer
Szenen-Illustration der Beziehungsanbahnung von Johann Heinrich F. und
Marguerite. Die fast ungebrochen „schön“ bewegten schönen Körper leisteten
einen stattlichen Anteil beim Zustandekommen von ‚Großer Oper‘. Die will und
soll nun einmal ‚magnificent‘ sein. Dass sie es war – nun zum dritten Mal in
Folge seit „Moses und Aron“ zum Spielzeitauftakt (gerade und auch bei
„Barbe-bleue“ und „La Voix humaine) – erscheint ganz wesentlich als
Verdienst von Philippe Jordan.
Philippe Jordan
Der Dirigent
prunkt nicht aufdringlich mit dem Schrillen und den Brüchen in der
Berlioz-Musik, sondern lässt diese fließen und blühen (ohne allerdings das
Inkonsistente des Werks zu ignorieren). Das Nonkonformistische und Exklusive
der Partitur, die „Modernität“ der musikalischen Dramaturgie konnten einem
jetzt in Paris so selbstverständlich vorkommen wie selten zuvor.
Von
Anfang an werden szenisch deutliche Zeichen und Fragezeichen zum Thema des
Faustischen heute gesetzt. Hermanis nutzt hierfür Botschaften des schwer
behinderten britischen Theoretischen Astrophysikers Stephen Hawking (sie
werden immer wieder in Französisch und Englisch eingeblendet): Die
Menschheit, vertreten durch positiv selektierte VertreterInnen ihrer besten
Kräfte, müsse andere Planeten kolonisieren, um zu überleben. In einer
modernen Metall-Glas-Gebäudekonstruktion zeigt sich eine Casting-Show, die
hundert vorwiegend junge und schöne Menschen aus Hunderttausenden erwählt
(nach den Kriterien wird tunlichst nicht gefragt). Die
nationalitätspolitisch und gendertechnisch korrekt zusammengesetzte
Hundertschaft der Willigen soll in einer One-way-Mission zum Mars entsandt
werden und dort eine erste Kolonie gründen (das Verfahren erinnert an die
englischen Bemühungen im späten 16. Jahrhundert, die nach etlichen tödlichen
Fehlversuchen dann ab 1607 zu einer europäisch geprägten Besiedlung
Virginias führte).
Die dem Werk zusätzlich angediente ‚futuristische‘
Ebene ist ambivalent. Stellt der Regisseur die Weltraummissionsforderungen
des NASA-Festredners Hawking als heutige Kapriole des faustischen
Erkenntnisdrangs und Willens zur Macht dar? Oder verbreitet er die imperiale
Forderung, die erlesensten Exemplare der Spezies Mensch möge sich um des
Überlebens willen nach der Erde auch den Weltraum untertan machen, faktisch
wie ein neues Evangelium? Schwer zu entscheiden am Ende, an dem statt der
auf Erden verurteilten Marguerite der Hawkins-Darsteller auf den Händen des
in Raumfahrttechnikermontur aufgebotenen Darstellerkollektivs in den Himmel
der christlichen Engel gehoben wird. Von Anfang an und bis zum Ende ist
Dominique Mercy als der gesundheitlich schwer beeinträchtigte Hawking im
Rollstuhl auf der Bühne – eine schrille ‚Verkörperung‘ des Faustischen und
einiger seiner Folgen. Trikotagenfabrik für Spießer
Ob sich die
Buh-Stürme des Pariser Gala-Premierenpublikums gegen die subkutanen
Ideologismen der Inszenierung richtete und nicht nur Unmut bekundeten, dass
es außer superschönen Bildern auch so etwas wie eine intellektuelle
Herausforderung und von Anfang bis Ende einen vielleicht weniger schön
anzuschauenden Behinderten gab, ließ sich nicht eruieren. Dabei setzte
Hermanis überwiegend doch auf die Karten von Naturschönheit, körperlicher
Anmut und Sensibilität, strikte Keuschheit (selbst Adam und Eva werden bei
einem Erinnerungsbild an die Schöpfungsgeschichte der Genesis in gediegener
Unterwäsche hereingefahren – als hätte Schießer schon im Jahr 3760 vor
Christi Geburt zwischen Euphrat und Tigris eine Trikotagenfabrik für Spießer
betrieben).
Videos von erlesener Schönheit und mit Bildern zur
Faszination der Raketentechnik ergänzen das mehrschichtige Treiben auf
jeweils recht eindeutige Art – von der Vegetation des Garten Eden oder einem
Klatschmohnfeld bis zu Großaufnahmen nackter Haut, von den neuesten
Weltraumgefährten bis zur Käfighaltung von Ratten oder leckeren
Paarungsbemühungen von zwei Weinbergschnecken. Da bleibt für das Agieren der
singenden Figuren nicht allzu viel Spielraum. Alle drei Protagonisten
bringen hervorragendes Stimm-Material mit. Das Organ von Jonas Kaufmann
erweist sich als die edelste und erlesenste (fast zu schön für den mit dem
Leben hadernden alten Gelehrten!), sehr geschmeidig, dann auch höchst
kraftvoll bei der Beglaubigung des Machtmenschen Faust und nachgerade ideal
für den kurzzeitig heftig Verliebten. Das berückende hohe Pianissimo erzielt
atemberaubende Spannung in der Riesenhalle. Bryn Terfel, der zunächst so
freundlich und verständnisvoll wirkt wie ein Großvater in den besten Jahren,
entpuppt sich (auch stimmlich) als wahrhaft diabolisch: Terfel ist ein
Teufel, wie man ihn sich für dieses Stück nur wünschen kann. Schon etwas
übers Alter der unbescholten naiven Gretel hinaus ist Sophie Koch; sie reiht
sich mit ihrem Mezzo ins Trio bestens ein (zumal, wenn sie nicht forcieren
muss). Die Himmelfahrt wird ihr erspart. War schon Fausti Höllenritt
unmittelbar mit einem Raketenstart konnotiert, so erschien nur konsequent,
dass die „Damnés et démons“ in der Tiefe nicht anders als die Séraphines auf
den höheren Stufen Techniker des Weltraumbahnhofs sind. Auch das Himmlische
des Épilogues wird in der insgesamt plausiblen neuen Pariser
„Faust“-Inszenierung solide geerdet. Christliche Religion und absurdes
Theater
Wie alle Religion, so existiert auch das Theater durch
Behauptung – mit Robert Zollitsch hat einer der klügeren deutschen
Erzbischöfe vor nicht allzu langer Zeit auf diese begrenzte Parallelität
hingewiesen. Die „Faust“-Stücke des (Musik-)Theaters leben in besonderer
Weise vom Behauptungscharakter ihrer Worte – und von Anfang bis Ende
berühren sich bei ihnen allemal christliche Religion und absurdes Theater
(die Adjektive lassen sich auch vertauschen). Problematisch, wenn nicht
abstoßend, mögen die von Alvis Hermanis seiner Inszenierung hinzugefügten
Worte Hawkings erscheinen. Womöglich wollte er mit ihnen ebenso provozieren
wie mit seiner Absage ans Thalia-Theater, bei der die branchenübliche
Profilierungssucht in Hinterhand gesessen haben dürfte. Vielleicht wollte
Hermanis eben ein bisschen Mephisto im wirklichen Theaterleben spielen und
sich aufspielt als Teil von jener Kraft, die (wie es im „Studierzimmer“
heißt) „stets das Böse will“ – und doch manch Gutes schafft. Vielleicht wird
der sensible Lette sogar, wenn er nicht den ganzen Tag im Theater verbringt,
durch die Anschauung der Folgen des Rechtspopulismus in Europa auch wieder
eines Besseren beraten. „Es irrt der Mensch so lang er strebt“ (Prolog im
Himmel).
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