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Opernwelt, September/Oktober 2015 |
Christian Merlin |
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Bizét: Carmen, Chorégies d'Orange, 8. Juli 2015
Kernig, schwerelos |
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In Orange singt Jonas Kaufmann Carmen an die Wand — und macht Don
José zur Hauptfigur |
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Wenn ein Darsteller vom Format Jonas Kaufmanns auf der Bühne mitmischt,
stehen die Chancen auf Gänsehaut nicht schlecht. Man geht allerdings auch
das Risiko ein, dass der Rest der Besetzung verblasst- und genau das geschah
jetzt in Orange. Zweieinhalb Stunden lang fragte man sich, warum Bizet seine
Oper eigentlich nicht «Don José» genannt hat. Dass ein Charakter wie José
überhaupt derart zur Hauptfigur aufrücken kann, sagt über Kaufmanns
Qualitäten schon eine Menge aus. Trotz des im antiken Amphitheater
gefürchteten Mistrals, der sich nach windstillen Wochen ausgerechnet am
Premierentag erhob, war der Tenor der konkurrenzlose Star des Abends. Ließ
uns alle seelischen Zustände mit musikalischen Mitteln spüren, beeindruckte
mit seiner Fähigkeit, Klangfarben zu modulieren - ganz zu schweigen vom
hohen B der Blumenarie, das er erwartungs- und partiturgemäß pianissimo
erklingen ließ, schwerelos und doch kernig. Und das mit einer französischen
Diktion, an der sich so mancher frankophone Sänger ein Beispiel nehmen
könnte. Roberto Alagna kam als Manrico in Verdis «Trovatore» offenbar
weniger gut zurecht-er ließ jedenfalls mitteilen, dass er künftig nicht mehr
in Orange auftreten wird.
Kate Aldrich als elegant-glatte Carmen
könnte in einem kleinen, geschlossenen Theater wohl noch überzeugen, für
diese Bühne ist ihre Stimme einfach unterdimensioniert. Wenig Ausstrahlung
besaß Kyle Ketelsens Escamillo, Inva Mulas Micaela klang klebrig-süß. Eine
böse Überraschung in Orange, wo sonst immer ungetrübte Feststimmung
herrscht: die dem Rezensenten völlig unverständlichen Buhrufe für Regisseur
und Dirigent. Das Publikum der Chorégies will eben seine gute, alte
«Carmen», mit Stierkampf, Pferden, Castagnetten. Louis Désirés Inszenierung
ist von Regietheater weit entfernt, aber das abstrakte Bühnenbild - riesige
Spielkarten, dunkle Farben - war für die Zuschauer, die mit einer feria
gerechnet hatten, wohl zu finster. Dasselbe gilt für Mikko Francks
Interpretation: Mit langsamen Tempi und unerhörten, vom virtuosen Orchestre
Philharmonique de Radio France glänzend umgesetzten Klangmischungen brachte
er Bizets kultivierte Orchestersprache zur vollen Geltung, ohne eine Spur
von Schwulst und Effekthascherei. In dieser Hinsicht war er der Einzige, der
mit Kaufmanns Leistung mithalten konnte. |
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