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Die Zeit, 21. November 2014 |
von Mirko Weber |
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Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15.11.2014 |
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Karg, aber schön depressiv
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Hans Neuenfels inszeniert mit einer grandiosen Kristine Opolais Puccinis "Manon Lescaut" an der Bayerischen Staatsoper. |
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Iphigenie und Thoas, Jason und Medea, Giuseppe und Sylvia, Schumann und
Schubert: Hans Neuenfels’ Inszenierungs- und Eigenproduktionsliste als
Regisseur und Autor ist voll von Schwarz-Weiß-Figuren, die auf Dauer nicht
voneinander lassen können, aber auch nicht zueinander kommen: weil das
Wasser zu tief ist, die Konvention oder die Zeitläufte gegen die Verbindung
stehen, weil sie sowieso nur in der Fantasie als Pärchen existieren oder
weil es, selbst im Glücksfall, überhaupt immer sehr schwierig ist, wenn zwei
Menschen bleiben wollen, was sie am Anfang jeder wirklichen Liebe,
ungeachtet aller kommenden Tage, sind: eins miteinander.
In Giacomo
Puccinis Oper Manon Lescaut finden Manon und Des Grieux sekündlich
zueinander: Ein Blick und eine Namensnennung reichen für eine gemeinsame
Vision und Flucht. Allerdings reichen auch wieder ein paar Monate
Boheme-Existenz auf noch nicht mal Mindestlohnniveau, um die Sache einseitig
zu kippen. Manon flieht in die Welt luxuriöser Langeweile, die alte,
solvente Männer jungen Frauen bieten können; Des Grieux geht in die Irre.
Als sie sich dann wiedersehen, ist die Katastrophe programmiert. Dass Des
Grieux von Manon immer noch bewusstseinslöschend gefangen ist, macht es
nicht besser; dass Manon hin- und hergerissen bleibt zwischen Klunkerzeug,
Glitzerdasein und Sehnsucht nach allumfassender Liebe, noch schlimmer.
Manon wird ausgewiesen, Des Grieux wird zum Mörder. Auf der zweiten
Flucht in die Wüste wanken sie wie Trümmerteile ihrer Existenzen. Im Tod
aber liegt eine gewisse (auch musikalisch von Tristan und Isolde geborgte
und glänzend variierte) humane Transzendenz. Natürlich ist alles bei Puccini
eine Nummer kleiner als bei Wagner, wiewohl auf kongeniale Weise: Manon
stirbt einfach näher an unserem Leben dran.
Für Dramaturgen kommt
Giacomo Puccinis frühe Oper von 1893, sein erstes Meisterstück, einem
Albtraum gleich. Vier Schauplätze in gut zwei Aufführungsstunden: Amiens,
Paris, Le Havre, endlich Niemandsland in Amerika. Fünf beteiligte
Librettisten und am Schluss ein Textkonvolut, das schon im zweiten von vier
Akten am Höhepunkt anlangt. Musikalisch formenüberladen, wird der zugrunde
liegende psychologische Roman von Antoine-François Prévost oft in eine
denkbar ungünstige Kolportageform gepresst, die auf Kosten von Manon als
Frau geht.
Gewöhnliche Inszenierungen scheitern daran, dass die
Szenerie der Musik jene Luft nimmt, die sie zum Leben und Sterben dauernd
dringend braucht. Nicht so die Münchner Regie von Hans Neuenfels, der das
Stück in fast leeren Räumen in einem fort manisch neu beatmet, bis das von
Alain Altinoglu linientreu, mittelstimmenbestimmt, akkurat, aber vielleicht
ein bisschen zu wenig schwebend bewegte Bayerische Staatsorchester seinen
letzten Sehnsuchtstodesseufzer tut, und Puccinis Manon Lescaut von vielen
plumpen Projektionen auf einmal erlöst wird.
Das geht wie von selbst,
weil Neuenfels von vornherein allem faulen Zauber misstraut, mit dem die
Oper normalerweise behelligt wird. So ist die Bühne (Stefan Mayer) schwarz
mit weißem Neonrand, ein Kargheitskonzentrationsraum mit lauter ästhetisch
veredelten Andeutungen von Requisiten nur: eine Kutsche (es ist die aus dem
Bayreuther Lohengrin), ein Bett, ein Laufsteg, später ein großes,
schwarz-weißes, neonbestrahltes riesiges Nichts an Wüste. Üppig sind nur die
Diamantenberge.
Neuenfels’ Regie hat bei allem Willen zur äußersten
Reduktion auch einen übergeordneten Verweischarakter, wenn man sich die
abgerichteten und geschlechtslosen Chorpummelchen anschaut, die das Volk
abgeben: eine uniforme Menge, wie die Laborratten aus dem Lohengrin, und
doch bleibt ihnen ein Rest Menschlichkeit wie allen anderen, allesamt an den
Rand (aber eben nur an den Rand) der Karikatur gebrachten Nebendarstellern.
Zusätzlich kommentiert der Regisseur mit Einblendungen wie im Stummfilm
(Texte von Prevost und ihm: "Jetzt spreche ich, Manon!") das Geschehen. Da
glotzt man nicht so romantisch und kann darüber hinaus wenigstens einmal
kurz Luft holen, bevor die Szene sie einem wieder abschnürt.
Die wird
maßgeblich geprägt von der Lettin Kristine Opolais, in München vor Jahren
schon eine unfassbar prägnante Rusalka. Anders als Anna Netrebko, die der
Zusammenarbeit mit Neuenfels nicht trauen mochte und zwei Wochen vor der
Premiere aus der Produktion ausstieg, hat Opolais den Mut, sich auf das
Experiment einzulassen, binnen vier Akten vom jungen, schönen Mädchen mit
den ebenmäßigen Zügen darstellerisch zur povera faccia zu finden, jenem
armseligen Gesicht, das der oft schwer depressive Puccini seinen
Darstellerinnen häufig verordnete: Opolais ist, nach vielen grandiosen
Szenen zuvor, vor allem am Schluss in der Wüste die Verzweiflung selbst und
balanciert im allerleisesten Pianissimo ihre Kunst doch vom Tod wieder ins
Leben hinüber: Sink hernieder, Nacht der Lieder!
Dergestalt reißt sie
auch den vokal monochromeren Jonas Kaufmann mit, und auch er ist dann ein
Ereignis, wie er in seinen jäh ausbrechenden Arien Spitzentöne verschattet
und doch von innen glühend ausfüllt: Als trüge er seine Liebe als zu schwere
Last. Bekleidet ist Kaufmann im Übrigen mit einem schwarzen Samtanzug samt
weißem Schillerkragen. Genauso betrat der junge Neuenfels vor Jahrzehnten
die Theaterbühne, er blieb: eine Ausnahmeerscheinung. Und nun wäre nach
dieser Manon Hans Neuenfels der Welt wohl einen Tristan schuldig.
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