Donaukurier, 17.11.2014
Von Jesko Schulze-Reimpell
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014
 
Es geht auch ohne Netrebko
 
 
Vielleicht war es der Ärger der enttäuschten Netrebko-Fans: Als der letzte Akkord im Münchner Nationaltheater verklungen war, und Regisseur Hans Neuenfels auf der Bühne erschien, brandeten ihm wütende Buhrufe entgegen, aber auch einige wenige Bravos. Die Primadonna hatte zwei Wochen vor der Premiere von Puccinis „Manon Lescaut“ kurz entschlossen abgesagt, wegen unüberbrückbarerer Differenzen mit Neuenfels bei der Interpretation der Titelfigur.

Der Rückzug ist im Nachhinein kaum verständlich. Zu brav, viel zu wenig provokativ ist die Inszenierung, als dass sie Reibungsfläche für Ärger und Wut hätte bieten können. Anna Netrobko hat schon weit gewagtere, experimentellere Regiekonzepte mitgetragen.

In München hat Regiealtmeister Neuenfels für „Manon Lescaut“ eine Art kühle Laborsituation entwickelt. Die Tragik der Geschichte ist von Anfang an spürbar im kargen, schwarzen Bühnenraum. Während die Musik sich leidenschaftlich-süßlich aufbäumt, ist die Szenerie reduziert und schmucklos. Große Gefühle sind in dieser Welt vorhanden, aber sie zerbrechen hier, sind fehl am Platz, weil es letztlich nur um Geld und Wohlstand geht.

Erzählt wird die Geschichte eines allmählichen Absturzes: Manon, ihr Leben lang zwischen Luxus und Liebe hin und her gerissen, soll von ihrem Bruder ins Kloster gebracht werden. Das schöne Mädchen verliebt sich aber in den mittellosen Des Grieux, wird von dem lüsternen Greis Geronte im Luxus ausgehalten, und, weil sie wieder zu ihrem Geliebten zurückkehren will, schließlich von der Polizei verhaftet und in die USA abgeschoben. Dort stirbt sie, mit Grieux auf der Flucht, einen der schönsten und längsten Liebestode der Operngeschichte.

Neuenfels’ Inszenierung wirkt fast wie ein Ableger seines Bayreuther „Lohengrin“. Während dort aber Ratten über die Bühne huschen, sind es in München andere skurrile Wesen: Da ist der Tanzlehrer ein Affe und der Chor wirkt wie eine Gruppe von Samsen: unförmige Gestalten mit roten Punk-Frisuren. Und die Mädchen, die De Grieux umlagern, während er singt, dass ihn die Frauen bisher noch kaum interessieren, sind gesichtslos. In dieser Welt gibt allein die Liebe den Menschen Persönlichkeit, Individualität, alle anderen Figuren sind schräge Typen, Tiere, graue Masse.

Der Erfolg von „Manon Lescaut“ steht und fällt mit der Besetzung der Titelpartie – und hier wurde mit Kristine Opolais ein recht guter Ersatz für Nebrebko gefunden. Die Lettin ist jünger und blond, ihr Sopran heller und längst nicht so schön im Timbre. Und doch gelingt Opolais eine ergreifende Manon, weil sie sich so bedingungslos in diese Rolle hineinstürzt, weil sie mal süßlich trällert und dann wieder im kalten Sprechgesang ächzt und jammert. Aber: Man sehnt sich gelegentlich doch nach dem so unendlich warmen Wohllaut der Netrebko.

Erstaunlicher noch als Opolais ist Jonas Kaufmann als Des Grieux. Nicht weil sein Tenor so strahlend durchdringend wäre wie der eines Pavarotti, sondern im Gegenteil: Wegen der unendlichen Differenzierungen, wegen der baritonalen, matten Färbung und dann, ab dem zweiten Akt, dieser gewaltigen Kraftentfaltung.

Und beide spielen fantastisch, besonders im Schlussakt, in dem sie lange völlig allein auf sich gestellt sind im kahlen, neonerleuchteten schwarzen Theaterraum.

Die Inszenierung ist auch deshalb so gelungen, weil wirklich bis zur letzten Nebenrolle jede Figur hervorragend besetzt wurde. Wunderbar besonders Markus Eiche als Lescaut und der Tanzmeister Ulrich Reß. Musikalisch ist diese Produktion ohnehin ein Hochgenuss. Dirigent Alain Altinoglu trifft mit dem Bayerischen Staatsorchester den flirrenden, immer leidenschaftlichen, farbigen, durchsichtigen Puccini-Sound. Er atmet mit den Sängern, nimmt sich viele Freiheiten in den Tempi, um die großen Bögen der Partitur noch flexibler auszugestalten. Und verliert bei all dem niemals den Sinn für die Drastik, die Schwärze der Tragödie.
















 
 
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