Die Presse, 16.11.2014
Von Walter Weidringer
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014
 
„Manon Lescaut“ in München: Buhs und Bravos gleichermaßen
 
In Puccinis „Manon Lescaut“ begeistert Jonas Kaufmann als intensiver, an die Grenzen gehender Des Grieux mehr als die spröde Netrebko-Einspringerin, Kristīne Opolais.
 
Gebrüllt wird in der Oper ja immer wieder, oft auch nach dem Ende der Vorstellung. In der Bayerischen Staatsoper prasselten am Samstag beim Schlussapplaus Buhs und Bravos gleichzeitig und mit solcher Leidenschaft und Vehemenz auf Hans Neuenfels und sein Team nieder, dass man dabei erst so recht gewahr wurde, wie sehr der Premiere von Puccinis „Manon Lescaut“ zuvor eine ähnlich entfesselte Emphase gefehlt hatte.

Auf der Bühne gab es eigentlich nur einen einzigen packenden Moment, und erspielen konnte ihn Jonas Kaufmann: Wenn im dritten Akt sein inbrünstiges Flehen erhört wird und Des Grieux die Geliebte in die Verbannung begleiten darf, fällt er zu den triumphal aufrauschenden Klängen des Orchesters voller Glück dem Kommandanten um den Hals, busselt ihn ab, ballt im Jubel die Fäuste und verabschiedet sich von Lescaut mit einer knappen, aber bewegenden Geste.

Wäre es nach dem Plan von Direktor Nikolaus Bachler gegangen, hätte an dieser Stelle Anna Netrebko als gefallenes Mädchen deportiert werden sollen. Doch die Diva war wegen Auffassungsunterschieden zwischen ihr und Neuenfels aus der mit viel Medieninteresse erwarteten Produktion ausgestiegen. Prononcierte Feinde des sogenannten Regietheaters wollten sie daraufhin schon als regelrechte Heldin feiern. Aber nun hat sich herausgestellt, dass die Arbeit des längst in die Jahre gekommenen Enfant terribles Neuenfels tatsächlich nichts enthält, was die in diesem Punkt ja gar nicht so zimperliche Netrebko zur Abreise geradezu gezwungen hätte – freilich auch nichts, was sie unbedingt zum Bleiben hätte drängen müssen. Denn die Inszenierung bleibt lau und uneinheitlich – es sei denn, man wertet es als bewusste künstlerische Aussage, dass dem Regisseur seine subversive Energie im Lauf des Abends abhandenzukommen scheint: Die ironische Distanz, aus welcher er zumal den ersten Akt und Teile des zweiten deutet, weicht bald einem eher sachlichen Blick auf die fatale Affäre.

Im Zentrum: Jonas Kaufmann

Stefan Mayers Bühne, auf der die Neonlichtkanten einzelner beweglicher Elemente das beherrschende Schwarz des Raums durchschneiden, gibt sich zunächst episch neutral à la Brecht. Die eingeblendeten Zwischentitel nennen Schauplatz und Zeit („Irgendwann“), heischen um Lacher („Wenn eine Kutsche kommt, fängt die Oper an. Sagte Giacomo Puccini“), heben den Zeigefinger („Die Intrige nimmt ihren Lauf“) oder kommentieren bissig: „Besser ein geschlachtetes Schwein als eine vegane Enttäuschung ein Leben lang.“

Diesen letzten Satz hätte Neuenfels selbst beherzigen sollen. Doch in seiner eher anämischen, schalen Regie bleibt die Personenführung konventionell-gediegen, mit der Darstellung des Chors (Rotschöpfe in birnenförmigen Silberoveralls oder niedlich stilisierte Kardinälchen) feuert er allenfalls stumpf gewordene Pfeile ab, und vom Ambiente her schafft selbst die wohl radikal gemeinte Tristesse des auf leerer Bühne vor sich gehenden tödlichen Finales in der Wüste keine rechte Atmosphäre. Zudem nehmen nach der Pause die Zwischentitel überhand, nun offenbar Zitate aus der seinerzeit überaus populären Romanvorlage des Abbé Prévost – und verkleistern damit auch entschuldigend die absichtlichen Brüche in der elliptischen, also eigentlich modernen Dramaturgie des Stücks. Dass etwa „Manons Abwesenheit“ für Des Grieux einer „Amputation“ gleichkam, wusste man durch das von Jonas Kaufmann vokal vergossene Herzblut längst. Der Tenor steht im Zentrum des Abends – als nicht mehr ganz junger und keineswegs unerfahrener Mann, der jedoch desto stärker von einer unbegreiflichen Leidenschaft erfasst wird. In der Verzweiflung wirkt er noch intensiver als bei seinen Liebesschwüren und suhlt sich mit seinem bekannt dunklen Timbre und reichlich Schluchzern in Puccinis schmerzlich schönen Kantilenen. Deren orchestrale Verdoppelungen hängen Alain Altinoglu und das so blitzsauber wie prägnant spielende Bayerische Staatsorchester der Stimme des Stars mehr wie einen Mantel um, als dass sie sie einem Teppich gleich ausrollten. Sängerisch geht Kaufmann zuweilen an seine Grenzen, ist oft in Gefahr, zu viel zu geben, und erwischt nicht jeden hohen Ton ganz präzise – Einwände gegen eine insgesamt reife Leistung.

Stärkere Abstriche sind dagegen bei Kristīne Opolais zu machen, deren zumal in der Höhe oft unruhigem Sopran die nötige Fülle fehlt: Einem Luxusgeschöpf wie Manon Lescaut lässt sich ohne opulent schimmernde Klangfarben nicht beikommen. Der Jubel war dennoch enorm – auch für Markus Eiche (Lescaut), der als kernig-markanter Hallodri ein Ensemble anführte, aus dem noch Dean Powers nobler Edmondo, der gorillaartig ausstaffierte Tanzmeister von Ulrich Reß und Alexander Kaimbachers ältlich tönender, Rad schlagender Lampionaio-Narr hervorragten.












 
 
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