Der Opernfreund, 14.04.2013
Manfred Langer
 
Massenet: Werther, Nationaltheater Mannheim, 13. April 2013
 
Emotion pur - große Oper!
 
Massenets Werther-Inszenierung von David Mouchtar-Samorai hat sich zum Erfolgsmodell entwickelt. Nun gab es in Mannheim schon die 33. Aufführung, allein acht in der Wiederaufnahmeserie dieser Spielzeit. Im Rahmen dieser Sonderveranstaltung konnte die Titelrolle mit Jonas Kaufmann als Gast besetzt werden. Alle anderen Sänger waren vom Mannheimer Ensemble. Die Zugkraft des deutschen Lieblingstenors (mit ihm sind „wir“ auch „Tenor“) hatte sich schon daran gezeigt, dass dieser Abend seit langem restlos ausverkauft war.

Der Regisseur David Mouchtar-Samorai verfrachtet die Oper mit Bühnenbild (Heinz Hauser) und Kostümen (Urte Eicker) in die Jetztzeit. Moderne verschiebbare Architekturelemente zeigen die verschiedenen Spielorte der Oper in Schwarz-Weiß; dahinter sind in zwei weiteren Horizonten halbdurchsichtige Kulissen angebracht, auf denen Natur und Kleinstadt angedeutet werden. Zwischen diesen Kulissen können auch die Personen bewegt werden und die Räume durch raffinierte Beleuchtungseffekte (Andreas Rehfeld) herausgehoben werden. Die Personen sind durchweg in Schwarz gekleidet. Mouchtar-Samorai fügt der Oper aber eine stumme Rolle hinzu: „Frau“, wohl die verstorbene Mutter von Charlotte, die mit langem weißen Haar und weißem Gewand am Geschehen lenkend teilnimmt. So führt sie Werther zum Hause des Amtmanns und löst damit das Geschehen aus und überbringt zuletzt als Botin Werthers Wunsch nach Alberts Pistolen, die sie auch mitnimmt, und leitet so das traurige Ende des Stücks ein. Ob die „Frau“ als geisternde Mutter Charlottes nur deren steten Albtraum darstellt oder sie aber zusätzlich auf die Probe stellen soll, ob sie ihr am Totenbette geleistetes Versprechen, Albert zu heiraten, angesichts der Versuchung durch Werther auch halten würde, wird nicht ganz klar.

Massenet war kein Exponent des musikalischen Fortschritts. Hier und da wagnert es noch deutlich in der Partitur der 1892 in Wien fünf Jahre nach der Fertigstellung des Werks uraufgeführten Oper; andrerseits hat er deutliche Vorlagen für den italienischen Verismus z.B. eines Puccini geliefert. Aber die Musik, die auf sicherem Abstand zu Kitsch und Süße gehalten wird, ist außerordentlich wirkungsvoll in ihrer Emotionalität und farbenreich durch die Instrumentation. Gerade in diesen beiden Punkten ließ Alois Seidlmeier, in Mannheim der Spezialist für italienische und französische Partituren, mit dem perfekt intonierenden Nationaltheater-Orchester keine Wünsche offen. Mit zarten Holzpassagen, viele auch solostisch dargebracht, romantisierenden Blechklängen in Wagnerscher Misch-Instrumentation und aufwallenden Tutti kam aus dem Graben das ideale Fundament für das emotionale Werk. Der kleine Kinderchor (Einstudierung Anke-Christine Kober) rahmt die Handlung von der Einstudierung des Weihnachtslieds im Sommer bis zu dessen Intonation im Winter aus dem Off ein.

Natürlich konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf den bayerischen Supertenor, der die Rolle des Werther schon in München und Paris gesungen hat und nächstes Jahr an der Met geben wird. Der der deutschen Literatur entnommene Stoff erfordert die Rolle gesanglich italienische Schulung und darstellerisch romanisches Temperament. Hier kann Jonas Kaufmann, der eine bunte Mischung aus italienischen, französischen und deutschen Partien im Repertoire hat, allein schon sprachlich punkten. Unter allen Sängern des Abends klang sein Französisch mit einem Schuss Italianità am authentischsten, was durch seine sprichwörtliche Legato-Kultur begünstigt war. Kaufmanns baritonales Timbre wird durch einen kehligen Eindruck noch verstärkt; phänomenal seine Kraft im unteren und mittleren Bereich und wie seine Stimme auch bei den leisesten und feinsten Tönen anspricht, was gerade bei der Interpretation des Werther zur Perfektion gehört. Seine exzellenten strahlenden Höhen sind notorisch, und an diesem Abend kam dabei auch ein kleiner Schuss Schau dazu.

Das Werk könnte auch Werther und Charlotte heißen, denn diese letztere Rolle muss wegen ihrer Innigeit und Zerrissenheit und der sängerischen Schwierigkeiten zu den großen Frauenpartien der Opernliteratur gezählt werden. Marie Belle Sandis buhlte mit der Titelrolle um die schönsten strahlenden Höhen. Aber auch in der Mittellage gefiel klanglich ihr betörender Mezzo. Indes führten die teilweise monochrom eingedunkelten Vokale zu schlechter Textverständlichkeit, und das bei ihr als Muttersprachlerin. Ihren Auftritt im dritten Akt im Duett nach Werthers « Pourquoi me réveiller, ô souffle du printemps?“ wurde zu einem Höhepunkt der Oper. Emotion pur - große Oper! Zum Glück hat Massenet die Oper durchkomponiert, sonst wäre es hier zu einer längeren Unterbrechung durch Applaus gekommen. Auch die weiteren Partien hatte das Nationaltheater aus den eigenen Reihen besetzt. Den Vogel schoss Katharina Göres als Sophie ab. Ihr beweglicher silbriger Sopran (Massenet hat ihr die dazu passend heitere, lebendige Passagen im Orchester zugeordnet) überzeugte ebenso wie ihr mädchenhaftes Auftreten in dieser Rolle und ihr ansprechendes Spiel. Thomas Berau, von ansehnlicher Erscheinung, verkörperte die Rolle des kalten erfolgreichen Albert mit bewährtem Bariton. Bryan Boyce‘s Bassbariton klang in der Rolle des Amtmanns ziemlich hell und trocken. Eine Luxusbesetzung für den Johann war Radu Cojocariu mit seinem geschmeidigen sonoren Bassbariton. Barbara Troeger geisterte als „Frau“ über die Bühne.

Vorübergehend kam es im Mannheimer Theater im dritten Akt (wieder) zu einem elektronischen Pfeifton, der bei ganz leisen Passagen störte. Als Entschuldigung bot die Theaterleitung den Gästen nach der Vorstellung ein Glas Sekt oder Orangensaft an. Das Personal musste die Tabletts mit den Gratisgetränken allerdings ziemlich lange halten, bis das Publikum endlich aus dem Saal kam. Denn mit einer Viertelstunde ovationsartigem Beifall, zum Schluss im Stehen, wurde den Darbietenden gedankt. Natürlich bekam der Gastsänger das meiste ab, aber auch die Mannheimer Sänger und vor allem das Orchester unter Alois Seidlmeier wurden verdientermaßen gefeiert. In der Tat ein festlicher Opernabend!














 
 
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