Kurier, 23.12.2013
Peter Jarolin
 
Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013
 
Letzter Höhepunkt des Verdi-Jahres
 
Vokales Fest mit Harteros und Kaufmann: „La forza del destino“ an der Bayerischen Staatsoper.
 
Jetzt ist es also fast vollbracht, das Verdi-Jahr 2013, in welchem allerorts an den 200. Geburtstag des Komponisten erinnert wurde. Und da das Beste bekanntlich oft zum Schluss kommt,lag es an der Bayerischen Staatsoper, die Feierlichkeiten mit einer mutigen Neuproduktion von Giuseppe Verdis „La forza del destino“ ausklingen zu lassen. In einer Besetzung, für die so mancher Opernfreund gern nach München pilgert. Aber der Reihe nach: Der Kärntner Regisseur Martin Kušej – er ist bekanntlich auch Intendant des Münchner Residenztheaters – hat sich dieser spanischen Räuberpistole aus dem 18. Jahrhundert angenommen und dem Plot (zu Recht) misstraut.
Tödliche Liebe

Alvaro liebt Leonora und wird von dieser geliebt. Leonoras Vater ist gegen diese Verbindung. Dummerweise löst sich irgendwann ein Schuss, und der Papa stirbt. Leonoras Bruder Carlo schwört Rache, Leonora geht ins Kloster. Alvaro und Carlo freunden sich im Krieg unter falschem Namen an. Am Ende kommt es dennoch zum Duell – Alvaro verwundet Carlo tödlich, aber dieser hat noch die Kraft, seine Schwester umzubringen. So weit, so tödlich. Regisseur Martin Kušej verlegt die Handlung in die 70er-Jahre; Leonoras Vater ist ein Mafiaboss, Alvaro ein langhaariger Latin Lover, Carlo ein biederes Bubi, das erst allmählich zur Bestie mutiert. Und Leonora ist so traumatisiert, dass sie ins Kloster geht oder sich vielleicht doch nur in ihrem Zimmerchen einsperrt und die „hässliche“ Außenwelt in ihrer Fantasie erlebt.

Böse Abrechnung

Das alles zeigt Kušej zwei Akte lang recht konventionell – sieht man von Leonoras Zuflucht ins Kloster ab, die in einer Ganzkörpertaufe (der Marke Zeugen Jehovas) in der Badewanne endet. Doch ab dem dritten Akt ist Kušej voll da. Da gibt es in Martin Zehetgrubers beeindruckendem Kriegs-Bühnenbild jene Abrechnung mit allen religiösen Fanatikern, deren „Glaube“ nur Tod und Terror bringt. Von 9/11 über Abu Ghraib, von der Verlogenheit kirchlicher Heilsversprechungen über eine marodierende und kopulierende Soldateska, deren Weg direkt ins dreckige Grab führt – hier ist Kušej in seinem Element, hier hat die Oper etwas Entlarvendes. Denn selbst im Augenblick des Todes steht das Kreuz zwischen den Liebenden ... Dass Kušej für diese Interpretation auch massive Buhs einstecken musste, versteht sich. Warum aber Dirigent Asher Fisch nur zwei, drei dezente Proteste über sich ergehen lassen musst, bleibt rätselhaft. Fisch ist auf der musikalischen Seite die einzige Schwachstelle dieser „Forza“. Da können Orchester und Chor der Bayerischen Staatsoper noch so gut sein (und das sind sie) – Fisch gestaltet einen breiigen, eher undifferenzierten, ja grobschlächtigen Verdi. Schade!

Denn bessere Sänger,als sie München aufbietet, wird man wohl nirgendwo finden. An der Spitze: Anja Harteros als überragende Leonora. Egal, ob im Liebestaumel oder im zarten, innigen Gebet – die Sopranistin zeigt in jeder Phase ihr vokale wie darstellerische Ausnahmestellung. Gleiches gilt auch für Jonas Kaufmann als Alvaro. Was für ein herrlicher, strahlender, dabei stets auch zu Lyrismen fähiger Tenor! Wie wunderbar harmoniert Kaufmann stimmlich mit Anja Harteros! Dass beide noch dazu gut aussehen, ist in der Oper sicher auch kein Nachteil. Dritter im Bundes dieses vokalen Verdi-Festes ist Ludovic Tézier als Glücksfall eines Carlo. Der französische Bariton verfügt über eine traumhafte, noble, aber kräftige Stimme, ohne jemals forcieren müssen. Auch das eine Top-Leistung.

Ähnliches lässt sich von Vitalij Kowaljow als Leonoras Vater und (ja, das ergibt Sinn) als Padre Guardiano sagen; Renato Girolami (Fra Melitone) und die extrem präsente Nadia Krasteva als kriegstreibende Preziosilla führen ein tadelloses, einhellig bejubeltes Ensemble an.

KURIER-Wertung:

Werk: Giuseppe Verdis „La forza del destino“ wurde 1862 in St. Petersburg uraufgeführt. Verdi selbst nahm aber Änderungen vor; die Uraufführung der zweiten Fassung fand 1869 an der Mailänder Scala statt. In München spielt man die Mailänder Fassung mit veränderter Szenenabfolge (dritter Akt) von Franz Werfel.

Regie: Aufregend, heutig. Kušej arbeitet sich am Glauben ab.

Dirigat: Leider nicht so überzeugend.

Gesang: Kaufmann, Harteros, Tézier sind phänomenal. Besser geht es nicht.












 
 
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