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Der Tagesspiegel, 14.08.2013 |
von Sybill Mahlke |
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Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013 |
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Im Himmel sehen wir uns wieder
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Peter Stein hat Verdis „Don Carlo“ bei den Salzburger Festspielen inszeniert. Es war die gefragteste Aufführung dieses Jahres. Seit Monaten war sie sechsmal ausverkauft. Trotzdem gelingen Stein nur in den Liebesszenen überzeugende Bilder, nicht im politischen Teil der Oper. |
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Es ist die Geschichte einer tiefen unmöglichen Liebe, die Peter Stein in den
Mittelpunkt seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ stellt.
„Addio, mia madre!“ und „Addio, mio figlio!“. So nehmen zwei Königskinder
Abschied voneinander als Mutter und Sohn. Sie halten sich umschlungen,
während sie vom Wiedersehen in besseren Welten singen. Und waren doch in
Fontainebleau ein jugendliches Paar, verlobt und verliebt, bevor Elisabetta
di Valois durch ihre Heirat mit dem alternden König Spaniens für dessen Sohn
zur Stiefmutter wurde. Carlo, Kronprinz des spanischen Weltreichs, bleibt
Gefangener seiner unglücklichen Liebe zu der jungen Königin.
Dieses
letzte Lebewohl begreift und zeigt der Regisseur als verzweifelten Versuch,
die Liebe in den Himmel zu verlagern. Dass diese große Szene bezwingend
klingt, verdankt sich Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Die variable, nur
gelegentlich flackernde Stimme der Sopranistin mit ihren leuchtenden Höhen
und der Tenor Kaufmanns, der eher vom Schubert- und Wagnerton geprägt ist,
verbinden sich in diesem Stück ideal. Längst werden die beiden Gesangsstars
ein Traumpaar genannt.
Die ganz unhistorische Tragödie des Infanten
von Spanien fügt sich als Familiengeschichte in ein politisches Staatsdrama
ein. Und hier gibt es leider von der Szene, die Steins Stammbühnenbildner
Ferdinand Wögerbauer mit viel Symmetrie und Annamaria Heinreich mit
kleidsamen Renaissance-Kostümen ausgestattet haben, weniger Erhellendes zu
berichten. Peter Stein ist bekanntlich ein Regisseur, der Streichungen
verachtet
Im Großen Festspielhaus gelingt es nicht, die gefragteste
Aufführung der Salzburger Festspiele im Verdi-Jahr – sechsmal seit Monaten
ausverkauft – zu einem wirklich bedeutenden Theaterabend zu machen. Das gilt
auch musikalisch. Zwar betören die Wiener Philharmoniker mit Details wie den
Hörnern in der „Morgendämmerung“, der dumpfen malerischen Tongebung der
Streicherbässe mit tiefen Bläsern in der Szene des Großinquisitors,
überhaupt Einzelstimmen der Klarinette, des Englisch-Horns, der Cellomelodie
im Monolog des Königs „Sie hat mich nie geliebt“. Auch verleiht die
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor dem in der Ferne altertümlich
psalmodierenden Mönchschor feines Kolorit. Aber Maestro Antonio Pappano, der
das Werk seit vielen Jahren (zuerst 1996 in Paris) dirigiert, wirkt
unentschlossen in seinen Tempovorstellungen und seltsam eigenschaftslos im
dramaturgischen Verlauf.
Von Verdis reichster Oper, ursprünglich
bestellt für die Pariser Weltausstellung 1867, sind nicht weniger als sieben
Fassungen vorhanden, in französischer und italienischer Sprache. Peter Stein
ist bekanntlich ein Regisseur, der den Rotstift verachtet und keine
Ausführlichkeit scheut. Das heißt in diesem Fall, auch noch in der
„Probenfassung“ zu gründeln. Und siehe da: Die Choreinleitung mit den
Holzfällern und ihren Frauen, die unter Krieg und Winterkälte leiden, ist
ein starker Opernauftakt. Er macht begreiflich, warum Elisabetta ihr
privates Glück dem Wohlergehen ihres französischen Volkes opfert. Aus den
mehrfach verwobenen Schicksalen, die daraus folgen, entsteht jedoch in
Salzburg keine Lebensunmittelbarkeit.
Zentrale Gestalt des
Schiller’schen Dramas ist der Marquis Posa, der wie Carlo den unter Spaniens
Herrschaft stehenden Niederlanden die Freiheit schenken will. Und in der
Oper das triumphierende Freundschaftslied, das in Momenten der äußeren
Niederlage leitmotivisch leise anklingt. Dieser Posa sollte als aufgeklärter
Idealist erscheinen, Revolutionär, zugleich Pylades neben Orest-Carlo in
mediterraner Männerfreundschaft und doch führender Bariton. Von alledem kann
der heutige Thomas Hampson kaum etwas aufbieten, routiniert singend arbeitet
er sich durch die Rolle. So repräsentiert auch Ekaterina Semenchuks
Prinzessin Eboli kein rechtes Leidenschaftsgeschöpf aus unerwiderter Liebe,
Rache und Reue, ihre Gestaltung begnügt sich in wohltönendem Mezzo ohne
Aufreger. Schön sieht das alles aus. Aber es tut nicht weh.
Bleiben von den sechs Protagonisten die beiden Bässe: Der Großinquisitor in
Gestalt von Eric Halfvarson, eher fallsüchtig als starr und maskenhaft, wie
es der Allmacht des Greises gemäß wäre, disputiert relativ spannend mit dem
König des Matti Salminen. Der hat gesagt, dass er die – hier ebenfalls
erweiterte – Rolle des Filippo nun zum letzten Mal singen werde. Und die
rührende Lebenswahrheit dieses betagten Herrschers lässt spüren, welche
Persönlichkeit und menschliche Darstellungskunst sich mit ihm zurückzieht.
Die Hofdamen bilden vor mattgrünem Grund mit Planschbecken ein anmutiges
Kollektiv. Manches Bild erinnert an alte Gemälde. Viel Staffage, auch
hübsche operettige Lampions gehören dazu. Die vom „Heiligen Offizium“
verurteilten Ketzer, die immerhin auf den Scheiterhaufen getrieben werden,
benehmen sich putzig wie aus dem Bilderbuch. Werktreu stellt sich Peter
Stein den verstorbenen Kaiser Carlo V. als Märchenfigur vor, der seinen
Enkel vor der Folter der Inquisition bewahrt und zu sich in den Tod
entrückt. An dieser Stelle wird auch sichtbar, dass die Autorität des
Großinquisitors in der Oper besiegt ist.
Bis dahin jedoch erstreckt
sich der Abend über fünf Stunden. Dekorativ rennen die Volksmengen auf die
Bühne, um sogleich Choraufstellung anzunehmen und das Rampensingen zu
beginnen. Dazu Aufmärsche wie aus holdem Vorgestern. Das „Fest“ der
Ketzerverbrennung wird zum Breitwand-Tableau. Harmloser, ungefährlicher
lässt sich die Szene einer Hinrichtung durch die kirchlich unterwanderte
Staatsmacht nicht vorstellen als in den schönen bunten Bildern von Peter
Stein. Vom Premierenpublikum wird er herzlich gefeiert, mehr noch die
Musiker und das Ensemble.
Nichts tut weh. Es sei denn, mit Achtung
gesagt: dieses „Addio!“ von Mutter und Sohn.
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