KlassikInfo
Derek Weber
 
Verdi: Messa da Requiem, Salzburg 1.9.2012
 
Der Beginn der Geräuschmusik
 
Salzburg symphonisch - die letzten Konzerte bei den Salzburger Festspielen 2012: Cleveland, Gewandhaus, Concertgebouw und das Scala-Orchester
 
(Salzburg, Ende August 2012) Zum Ende der diesjährigen Salzburger Festspiele hat der neue Intendant Alexander Pereira noch einmal den Konzertsektor offensiv ins Zentrum gerückt: Das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst, das Leipziger Gewandhausorchester unter Riccardo Chailly, das Concertgebouworkest unter Mariss Jansons und das Orchestra del Teatro alla Scala unter Daniel Barenboim waren aufgeboten, um zu zeigen, dass sich die Festspiele auch in den letzten Tagen vor der Welt nicht verstecken müssen. ...

...Heftiges Gewitter: Giuseppe Verdis Messa da Requiem

Nicht ganz auf demselben Niveau bewegen sich - zumindest bei Giuseppe Verdis Messa da Requiem - die Musiker des Orchestra della Scala aus Mailand. Da wird der Klang im oberen Dezibel-Grenz-Bereich schon ab und an ein wenig bröselig und diffus.

Aber da mag der Wille fürs Werk stehen. Und für was für ein Werk! Irgendetwas muss an dem Verdi-Requiem, dem ja oft unreligiöse Züge nachgesagt werden, wohl dran sein, was über das Brechtische "Ihr sterbt mit den Tieren, und es kommt nichts danach" hinausgeht. Nicht Metaphysik, aber immerhin doch - Trotz: Wie sonst wäre es zu erklären, dass im KZ Theresienstadt, nachdem der erste Transport in die Vernichtungslager abgegangen war, sofort die Lücken im Chor geschlossen wurden, um - nicht irgendein tschechisches geistliches Werk, sondern just das Verdi-Requiem weiter aufführen zu können. Trotz - trotz Angst: menschliche Größe im Angesichts des Schreckens "jenes Tages", der im "Dies irae" beschworen wird - das ist wahrscheinlich das Zauberwort, das wirklich "Weltliche", der Schlüssel zu diesem Werk, dessen Opernhaftigkeit zwar stets beschworen wird, ohne dass dies aber den Kern, die Grundhaltung des Ganzen, erklären könnte. Wer diesen Trotz in einzelnen Noten suchen wollte, er würde nicht fündig werden. Er steht zwischen den Zeilen.

Daniel Barenboim, selbst - wenn ich nicht irre - kein sehr gläubiger Mensch, ist diesem Kern am letzten Tag der Salzburger Festspiele ziemlich nahe gekommen: In einem aus dem Nichts kommenden x-fachen Pianissimo der Streicher lässt er das Werk beginnen. Dann setzt mit einem fast tonlos gehauchten, deklamierten "Requiem" der Chor ein. Immer wieder kehren Chor und Solisten im Lauf des Requiems zu diesem irritierenden (und vielleicht "unintalienischen") Tonfall zurück.

Wer hätte sich vorstellen können, dass der Chor und das Orchester der Mailänder Scala im Ausland mit SängerInnen erster Güte, aber ohne einen einzigen italienischen Solisten gastieren? Es gibt immer noch gute Sänger in dem Land, aber ein so klug zusammengestelltes, kultiviertes, makellos singendes Solistenquartett mit ähnlich zugkräftigen Namen wie Anja Harteros, Elīna Garanča, Jonas Kaufmann und René Pape wird man dort kaum auftreiben können. Anja Harteros - weit von dem üblichen Aida-Sopran-Idiom entfernt - und Elīna Garanča harmonieren - zumal im "Agnus Dei" - wunderbar miteinander. Jonas Kaufmann ist eine Tenor-Kategorie für sich und René Pape hat sich eine noble Zurückhaltung erschlossen, bei der die Stimme nicht auftrumpfen muss, wo sie nicht soll.

Barenboim treibt den stark besetzten Scala-Chor samt dem Orchester in die Grenzregionen des Fortissimo, sodass die Balance zwischen Chor und Orchester zuweilen brüchig wird und die Solisten - obwohl voll aussingend - etwa am Ende des "Kyrie" nur mehr mit Mühe zu hören sind. Aber was soll´s: Es war insgesamt ein mitreissendes Konzert, für das sich Daniel Barenboim offensichtlich ganz besonders gut vorbereitet hatte. Jubel, Begeisterung und standing ovations waren garantiert.
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