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Der Tagesspiegel, 2. Oktober 2012 |
von Sybill Mahlke |
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Schubert: Die schöne Müllerin, Berlin, Philharmonie, 30.9.2012 |
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Ihr Blümlein alle: Jonas Kaufmann mit Barenboim in der Philharmonie
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„Mein Schatz hat’s Grün so gern“: Das bedeutet für den unglücklichen
Müllerburschen, dass die geliebte untreue Müllerin einen anderen liebt,
nämlich den Jäger. Während in der „Winterreise“ das Leid des Liebenden als
Reflektion einer vergangenen Handlung vorausgesetzt wird, die ihn in tiefste
romantische Depression gestürzt hat, ist „Die schöne Müllerin“ eine
Erzählung.
Mitten im Geschehen zu stehen, ein Schicksal zu durchleben
aus harmloser Wanderlust, Ungeduld, „Dein ist mein Herz“ und Sehnsucht zum
Tod, das vermittelt der Sänger Jonas Kaufmann live und jetzt in der
Philharmonie wie kaum ein anderer.
Dass der Dichter Wilhelm Müller
und Franz Schuberts Komposition in verhaltenen Farben nicht weniger als eine
Katastrophe schildern, wird Ereignis im Singen und Sagen der Interpretation.
„Sag, Bächlein, liebt sie mich?“ heißt die leise Hoffnung und „Mein!“ das
kurze Glück, bis der Jäger kommt, der Rivale mit der bösen Farbe Grün.
Bei Jonas Kaufmann, dem gefeierten Operntenor, bleibt der Liederzyklus
sehr intim, ebenso wie die Begleitung Daniel Barenboims, die den
rauschenden, singenden und klingenden Bach verkörpert. Im Rahmen des
Barenboim-Zyklus der Staatsoper ist es eine besonders kostbare Matinee, in
der zum Staunen die Piano- und Pianissimo-Töne dominieren. Das heißt, dass
die Tragödie, diskret vorgetragen, umso schmerzlicher wirkt. Kaufmanns
Stimme, in Bestform, fasziniert als Material und als Spiegel der verwundeten
Seele.
Ein bisschen Volkston, ein bisschen Schäferpoesie ist darin
und dabei doch Analyse eines Suizids. Das Wandern ist nun des Müllers Lust
nicht mehr. Der Selbstmörder stellt sich das Leben nach seinem Tod vor und
die Geliebte an seinem Grab, aus dem im Frühling die „Blümlein alle, die sie
mir gab“ sprießen würden. Er stirbt in den Wellen des Mühlbachs mit der
Vision, dass sie dann am Grabhügel vorbeiwandelt „und denkt im Herzen: der
meint’ es treu“.
Über diesen Freitod und seine Motivation gibt die
Aufführung zu denken. Damit prägt sie sich als eigenständige Lesart in das
Gedächtnis ein.
Das letzte Wort hat der Bach: „Gute Ruh, gute Ruh“,
so wiegt er den Sänger ein. „Und der Himmel da oben, wie ist er so weit!“
Wenn Jonas Kaufmann seine fein phrasierte, schöne, leise, klug
differenzierte Liednovelle beendet hat, fällt es schwer, sich auf das Wesen
einer „launischen Forelle“ in der ersten Zugabe umzustellen.
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