Der Standard, 9. Gezember 2012
Joachim Lange
Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012
 
Opernstunde der aufbrechenden Verdrängung 
 
Dirigent Daniel Barenboim und Regisseur Claus Guth eröffnen an der Mailänder Scala die Saison mit Wagners "Lohengrin"
 
Applaus für eine routinierte Version, die das Unbewusste der Figuren bebildert.

Italiens erstes Opernhaus ist zwar längst nur noch die glanzvolle Fassade, hinter welcher quasi die Beschädigung der Hochkultur im ganzen Land betrieben wird. Zur Inaugurazione aber tut man immer noch so, als sei Italien das Opernland schlechthin. Dabei hat dieser alljährliche Event immer mehr etwas von einem Kindergeburtstag für die Großen. Im Vorfeld sah sich sogar Staatspräsident Napolitano verpflichtet, schriftlich zu versichern, dass seine Abwesenheit nicht gegen Richard Wagner gerichtet sei.

Es gab ja ein Hickhack, weil man mit dessen Lohengrin und nicht mit etwas von Verdi das Jubiläumsjahr eingeläutet hat. 2013 sind ja beide Komponisten zu feiern. Die Mailänder nahmen Dirigent Daniel Barenboim - nach dem Beifall zu urteilen - jedenfalls nichts übel. Nicht einmal, dass er am Anfang vergaß, die italienische Hymne zu spielen. Immerhin legte er sich mit einer ziemlichen Portion Italianità ins Wagner-Zeug ( Lohengrin ist ohnehin die wohl italienischste Oper Wagners) und reichte die Hymne nach. Samt mitsingender Sängercrew. Sonst fand man sich mitten im oberen Drittel des Opernalltags wieder, zu dem die Protagonisten ebenso gehören wie das Inszenierungsteam.

Für Claus Guth war Lohengrin das letzte noch anstehende Stück aus dem Bayreuther Stückekanon. Womöglich ist es deshalb mehr ein Resümee der Ansätze geworden, wie man sie beim Bayreuther Holländer, dem Wiener Tannhäuser oder Parsifal (in Barcelona) erlebt hat, und weniger ein wirklich stringenter Wurf. In einem opulenten Außen-/Innenraum mit dreistöckiger Fassadenwand samt Galerien, mit Schreibtisch und Kronleuchter sowie Bäumen und schilfigem Ufer und Klavier, psychologisiert sich Guth durch die Geschichte.

Die Jacke des Bruders

Lohengrin und Elsa sind vor allem traumatisiert. Sie geht bei jeder Gelegenheit zu Boden, muss sich dauernd kratzen und lässt nur schwer von der Jacke des verschwundenen Bruders. Der geistert als Kind und als Bursche mit einem Schwanenflügel, nur für sie sichtbar, herum. Der nicht mit Schwan auftauchende, sondern als Ergebnis eines Krampfanfalls plötzlich ebenso verkrampft am Boden liegende Lohengrin sieht in ihren Augen auch aus wie ein Alter Ego ihres Bruders. Nach dem streckt sie am Ende auch ihre Hände mit den Worten "Mein Gatte" aus, bevor sie im Bühnenteich untergeht.

Wenn das die Geschichte einer aufbrechenden Verdrängung oder Projektion gewesen sein sollte, so hatte die nicht nur das politische Problem mit dem deutschen Schwert und dem Feind aus dem Osten einfach übergangen, sondern im Bühnenflachwasser nasse Füße bekommen und mehr offene Fragen hinterlassen als schlüssige Angebote gemacht.

Dass vor allem Jonas Kaufmann daraus die geradezu anrührende Geschichte eines Außenseiters mit Kaspar-Hauser-Syndrom macht, der anfangs scheinbar selbst nicht weiß, wer er ist, und zum Helden wider Willen gemacht wird, tröstet da szenisch nur unzureichend. Immerhin Kaufmann: In Hochform strahlend und obendrein klug und reflektierend gestaltend, bietet er weit mehr als "nur" den Silberglanz des Gralsrittes auf Exkursion. Die fragile Opferrolle, die ihm Claus Guth verordnet, beglaubigt er mit vokalem Charisma.

Leider fiel Anja Harteros aus, als Elsa sprang Annette Dasch ein. Ihre darstellerische Flexibilität ist hochprofessionell, nur ist sie keine ideale Elsa: Sie vermag nicht zu leuchten, zu strahlen, klingt oft stumpf. Auch die lodernde Ortrud von Evelyn Herlitzius ist Geschmacksache. René Pape ist jedenfalls der erstklassige König Heinrich ohne Altherrenattitüde, den man von ihm erwarten durfte. Zeljko Lucics Heerrufer wiederum klang etwas verwaschen und gaumig, und Tómas Tómasson wirkte als Telramund schon bald recht überanstrengt bei seinem Versuch, so etwas wie den unendlichen Satz zu kreieren.

Daniel Barenboim jedenfalls hielt das Ganze zusammen, fing die Chöre auch wieder ein, wenn sie sich zu verselbstständigen drohten, und überdeckte die Sänger nur manchmal.




 






 
 
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