Der Neue Merker, 2.2.2012
Renate Wagner
Gounod: Faust, Wiener Staatsoper, 1. Februar 2012
FAUST von Charles Gounod
 

Er ist unter den Startenören von heute eine der glanzvollsten Erscheinungen, und der Live-Auftritt beweist, warum: Sobald der alte Faust Gewand und Maske abgestreift hat und im weißen Anzug als jugendlicher Jonas Kaufmann geradezu auf die Bühne schwebt, weiß man, wie ein Tenor, der einen Liebhaber darstellt, im Idealfall aussehen soll. Und warum sollte man diese Erfüllung des optischen Ideals hochmütig verweigern (sind dicke Sänger schlechter? Nein, natürlich nicht. Nur in gewisser Hinsicht weniger überzeugend), wenn sie geboten wird? Zumal Kaufmann ja wahrlich „not just a pretty face“ zu bieten hat.

Er kennt die Rolle spürbar, er hat sie vor längerer Zeit in Zürich und zuletzt im Herbst an der Met gesungen. Er fügt sich zweifellos mit Anweisungen in die Nicht-Inszenierung der Wiener Staatsoper (kein Wort darüber, sonst ist ein Tobsuchtsanfall fällig) und weiß immer genau, was er zu tun hat, was Faust fühlt und wie er es darstellt. Alles, was er jetzt bräuchte, wären Partner auf Augenhöhe…

Man möchte, dies an die Direktion, hier schon sagen, dass man sich – wenn man schon einen Spitzensänger nach Wien bekommt – etwas mehr um die Besetzung rundum hätte kümmern können, die kurz gesagt vielleicht mit anderen Persönlichkeiten mehr zum Glanz des Abends beigetragen hätte, der fast allein am Titelhelden ruhte. Andererseits will man niemanden beleidigen, und man ahnt auch die Schwierigkeiten, Besetzungen auf die Beine zu stellen (und das ja meist um Jahre voraus) – es sei. Eine jüngere Marguerite, ein von der Persönlichkeit her passenderer Méphistophélès hätten dennoch nicht geschadet…

Was Jonas Kaufmann betrifft, so hat man sich vermutlich an sein dezidiert gutturales Timbre gewöhnt – oder es hat sich freier gesungen, jedenfalls stößt man sich weniger daran als früher. Er ist ein prächtiger Tenor mit tragfähiger Mittellage und einer im Forte strahlenden, stellenweise begeisternden Höhe. Womit er sich noch spielt, ist das Piano, und er tut das offenbar nicht nur mit Korrepetitoren und Lehrern, sondern auch – Learning by doing – auf der Bühne. Ganz ist er noch nicht am Ziel, es kann ihm passieren, dass dieses Piano schlechtweg nicht trägt und nicht hörbar ist. Aber seine Bemühungen um die Raffinessen der Technik sind immer wieder von Erfolg gekrönt, und es scheint klar, dass ein Sänger, dessen Stimme so sehr für Wagner prädestiniert ist, gar keine Lust hat, sich in diesen Käfig stecken zu lassen. Also arbeitet er am italienischen und französischen Fach. Und er ist, es sei wiederholt, mit geringen Abstrichen ein formidabler Faust, den man erlebt haben sollte.

Wobei noch ein erstaunliches Detail am Rande zu berichten ist: Nicht nur, dass es am Ende gerade für zwei Solovorhänge reichte, da wäre durchaus etwas mehr Enthusiasmus angezeigt gewesen. Der Abend, von dem man annahm, dass er gestürmt werden würde, war am Stehplatz höchstens mittel besetzt, noch wenige Minuten vor Beginn waren ausreichend Balkon- und Galeriestehplätze vorhanden, man hätte hineinmarschieren und einen guten Platz bekommen können. War es die Kälte, die jeden vernünftigen Menschen abhielt, sich vor dem Haus anzustellen? Oder haben alle gleichzeitig gedacht, es würde so viel los sein, dass man ohnedies keine Karte mehr bekommt? Das sind so die Unwägbarkeiten…

Von den sieben Hauptrollendarstellern feierten fünf an diesem Abend ihr Rollendebut. Über „Veteran“ Hans Peter Kammerer als Wagner muss man eigentlich nichts sagen, dafür lieferte Adrian Eröd eine Glanzleistung (und erhielt die ersten Bravos des Abends und stürmischen Applaus). Er sang den Valentin bewusst auf „Stil“, verbreiterte seine schöne Stimme für die erste Arie zu fließendem Belcanto, und er gestaltete seine Sterbeszene stimmlich und darstellerisch mit beklemmender Intensität. Kompliment.

Die Marguerite der Inva Mula stand gesanglich fest in den Schuhen der Figur – mit einer angenehmen, technisch wirklich souveränen Stimme, die in der Höhe „klingt“ und nicht schrillt. Aber das ist natürlich nur ein Teil der Rolle (wenn auch ein wichtiger) – wenn das „junge Mädchen“ kokett abwehrt, sie sei nicht „Demoiselle“, stimmt das hier leider wahrlich. Und wer wie Gretchens etwas behäbige Mutter wirkt, wird auch seinem Faust die Überzeugungskraft nicht leicht machen.

Auch das Rollenprofil des Mephisto ist nicht für einen älteren Herren mit schnarrender, eher unschöner Stimme gedacht. Der ehrenwerte Albert Dohmen (unter dessen Wotan man in Bayreuth schon akustisch vertrocknet ist, während es ihm in Wien ja unter Thielemann erstaunlich gelang aufzublühen) sollte keine Rollen singen, die Stimmgröße, Stimmschönheit und Geschmeidigkeit verlangen und auch noch gewinnen würden, wenn eine bewegliche, schillernde, interessante Persönlichkeit funkelte. Natürlich steht er als Mephisto auf der Bühne und singt die Noten, aber eine ideale Besetzung sieht – entschuldigen schon – anders aus.

Mit dem Siébel klappt und klappt es auch nicht, noch jeder Mezzo aus der zweiten Reihe des Hauses hat da geschrillt, Juliette Mars geht es, obzwar sympathisch um Leichtigkeit bemüht, im Ernstfall bei den hohen Tönen nicht anders. Monika Bohinec lässt in der kleinen Rolle der Marthe Angenehmes hören und einen Anflug von Humor bemerken.

In diesem Fall muss man auch den Chor erwähnen, der unter der Leitung von Thomas Lang diesmal wirklich tipptopp war. Was den Dirigenten Alain Altinoglu betrifft, der zuletzt bei „Faust“ im April 2011 noch ein paar Verständigungsschwierigkeiten hatte, so lieferte er diesmal eine herausragende Leistung. Man hat in Wien schon so viel letschertes französisches Repertoire gehört, dass man hier nur aufhorchen konnte – ein Mann, dem es immer wieder gelang, die Musik nicht nur als Hintergrund oder Begleitung abzuspulen, sondern hörbar und nachdrücklich zum Mitgestalter des Geschehens zu machen. Wie es im Grunde immer sein soll. Und nicht immer der Fall ist…

Wie gesagt plätscherte der Schlussapplaus so dahin, dass sogar die zweite Serie von Solo-Vorhängen fast erzwungen wirkte. Ich denke, dieser Kaufmann-„Faust“ wird von Vorstellung zu Vorstellung noch besser werden. Und das Publikum hoffentlich auch.






 
 
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