OÖ Nachrichten, 16.8.2012
Florian Oberhummer
 
Bizét: Carmen, Salzburger Festspiele, 14. August 2012
 
Eine Carmen ganz ohne Klischees
 
Freundlicher Beifall für „Carmen“-Wiederaufnahme bei den Festspielen mit Schockmoment.
 
Das Exklusiv-Premieren-Dogma von Alexander Pereira wird bereits in seinem ersten Salzburger Sommer ad absurdum geführt: Ausgerechnet die Wiederaufnahmen der Oster-„Carmen“ und des Pfingst-„Giulio Cesare in Egitto“ werden vom sommerlichen Festspielpublikum gestürmt – wohl nicht zuletzt aufgrund der schillernden Sängerbesetzungen. Am Dienstag feierte „Carmen“ ein zweites Mal Premiere, trotz des Déja-vu auf der Bühne und am Dirigentenpult wurde die Inszenierung von Aletta Collins freundlich beklatscht.

Jonas Kaufmann als „Don José“ und Genia Kühmeier als „Micaela“ fuhren jenen Jubel ein, der Magdalena Kozena in der Titelrolle – erneut – vorenthalten blieb. Einen gravierenden Unterschied zwischen Ostern und Sommer macht das Orchester aus: Statt die Berliner Philharmoniker dirigiert Simon Rattle nun die Wiener Philharmoniker. Setzten Rattles „Berliner“ auf rhythmische Prägnanz und in die Moderne weisende Motorik, verströmen die „Wiener“ jenen sinnlich-warmen romantischen Luxusklang, den Georges Bizets Oper dringend benötigt.

Gerade die Duette von „Micaela“ und „Don José“ werden in eine berührend-organische, von den Holzbläsern atemberaubend zart ausgestaltete Klanglandschaft eingebettet, aus der heraus Kühmeier ihren grandios schlanken, glasklaren Sopran und Kaufmann seine dunkle Tenorstimme bis hin ins ätherisch gehauchte Piano zur Entfaltung bringen. Dass der deutsche Ausnahme-Sänger heuer neben „Don José“ auch „Bacchus“ in der „Ariadne auf Naxos“ singt, merkt man seiner Performance kaum an.

An der Salzburger Carmen selbst schieden und scheiden sich nach wie vor die Geister: Magdalena Kozena verweigert alle Klischees, die sich um die vielleicht populärste Opernfigur überhaupt gebildet haben. Bar jeder äußerlich-leidenschaftlichen Regung führt die Rotblonde mit beängstigender Eiseskälte die Fäden in dieser Amour fou. Ihr liedhaft eingesetzter Mezzosopran verleiht ihrem Part plastische, wortdeutliche Gestalt. Leider fehlen Kozena gerade in tieferen Lagen Kraft und Präsenz, „Carmens“ finaler Kampf mit „Don José“ bleibt so merkwürdig blass. Dennoch waren die vereinzelten Buh-Rufe, denen sich Kozena im Schlussapplaus aussetzen musste, unnötig.

Einspringer Massimo Cavalletti

Einen Schockmoment hatte dieser Abend auch zu bieten: Weil Kostas Smoriginas in der zentralen Escamillo-Arie im zweiten Akt die Stimme verließ, musste Massimo Cavalletti – heuer als „Marcello“ in „La Bohème“ im Einsatz – nach der Pause einspringen.

Mit strahlendem Bariton absolvierte der bejubelte Italiener seine Sache großartig. Freilich sorgte sein Covern vom Bühnenrand aus für ein eklatantes Lautstärken-Ungleichgewicht mit den Akteuren auf der Bühne, Rattle griff – wie so oft – kaum vermittelnd ein. André Schuen als „Morales“ und Christian van Horn als „Zuniga“ agierten wie schon zu Ostern tadellos.

Auch die Inszenierung von Aletta Collins wirkt im zweiten Aufguss noch stimmig. Inmitten der im Bürgerkriegs-Spanien angesiedelten Fabriks- und Kanalisationsbilder (Bühne: Miriam Buether, Kostüme: Gabrielle Dalton) verweigert die tanzaffine Britin kopflastige Interpretationskonzepte und setzt stattdessen auf mitreißende Choreografien, schnörkellose Personenregie und gut strukturierte Massenszenen.

Diese setzt der darstellerisch stark geforderte Wiener Staatsopernchor gekonnt um, wie er auch klanglich mit den Wiener Philharmonikern zu einer geschlossenen Einheit verschmilzt – ein weiterer Pluspunkt dieser alles andere als lau aufgewärmten Produktion.

 
 
 
 
 
 
 






 
 
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