Der Tagesspiegel, 02.04.2012
Von Frederik Hanssen
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Sei beim Abschied leis’ nervös
 
Leichter Abschied: Nach 45 Jahren beenden die Berliner Philharmoniker ihre Salzburger Osterfestspiele mit Bizets „Carmen“.
 
Um es positiv zu formulieren: Mit der neuen „Carmen“ machen Simon Rattle und die Seinen dem Salzburger Publikum den Abschied so leicht wie möglich. Magdalena Kozena, die Ehefrau des Chefdirigenten, ist keine typische Opernzigeunerin. Keine dieser rassigen Mezzodiven mit gutturaler Tiefe und messerscharfen Spitzentönen. „Lasziv“ ist das letzte Adjektiv, dass einem beim Anblick der zierlichen Tschechin einfällt. Und doch könnte Magdalena Kozena eine interessante Carmen sein. Wenn das Stück nicht so gegeben wird wie gewohnt, nämlich ästhetisch eingemeindet zwischen spätem Verdi und Giacomo Puccini. Sondern so, wie es Georges Bizet 1875 konzipiert hat: als opéra comique nämlich, die ja nichts mit Komik zu tun hat, sondern mit Dialogen statt gesungener Rezitative. Als Theaterstück mit Musik, in dem die Arien keine Selbstreflexionen sind, nicht Innenschau, bei der die Handlung anhält, sondern Lieder, spontan aus der szenischen Situation geboren. Wie Magdalena Kozena ihren Part im Kartenterzett des dritten Aktes gestaltet, das ist hohe Kunst, sensibel und differenziert, eine edel geschwungene Linie über atmosphärischer Orchesterbegleitung. Opéra comique eben. Nur leider hat das, was dazu aus dem Graben erklingt, wenig mit dem Genre zu tun.

Tatsächlich ist „Carmen“ auch keine glückliche Wahl für die Berliner. Bei Wagners wissendem Orchester, bei Richard Strauss’ Klangorgien, da können sich sinfonisch spezialisierte Musiker entfalten. Bei Bizet aber ist vor allem eine dienende Funktion gefragt. Und da hört man doch, dass die Philharmoniker nur einmal pro Jahr Oper spielen. Dass ihnen die Kniffe und Tricks des Musiktheaters wenig vertraut sind, dass sie nicht automatisch erspüren, wo man Akzente setzen, und wo man die Musik einfach laufen lassen kann.

Mit der Berliner Staatskapelle, dem Hausorchester der Lindenoper, ist Simon Rattle jüngst eine ganz wunderbare, genuin französische Deutung von Chabriers 1877 uraufgeführtem „L’Etoile“ gelungen. In Salzburg wirkt er wie ein unerfahrener Kapellmeister. Und das Orchester irritiert, weil die Musiker auf jede Note gleich viel Aufmerksamkeit verwenden. Dadurch hört man Details, die man bislang nie wahrgenommen hat. Vieles aber wird auch zum Störgeräusch, wenn sich mal wieder eine Nebenstimme in den Vordergrund drängt. Vom formidablen Wiener Staatsopernchor lässt sich Rattle in den Massenszenen zum heftigen Krachschlagen mitreißen. Auch sonst stimmt die Balance oft nicht, werden die Sänger oft vom Orchester zugedeckt. Bis auf Jonas Kaufmann natürlich. Der Alleskönner-Tenor des Augenblicks macht einfach ganz große Oper, verströmt sich kraftvoll und leidenschaftlich, als wär’s ein Stück von Puccini. Und findet dabei sogar zu einem gemeinsamen Atem mit Dirigent und Orchester. Den herzlichsten Applaus allerdings erhält am Ende Carmens Gegenspielerin, die von Genia Kühmeier mit blühendem Sopran und emotionaler Innigkeit ausgestattete Michaela.

Es wird viel getanzt in Aletta Collins’ Inszenierung. Gleich in Kompaniestärke treten die Flamencoseñoritas an, schwingen ihre Röcke in jeder möglichen und unmöglichen Situation. Die Regisseurin hat keine Fragen an das Stück, beschränkt sich aufs optisch attraktive Arrangement, mit ein paar schönen Details in der Personenführung und viel szenischer Konvention. Ausgerechnet hier: eine Produktion, die sich im Repertoirebetrieb zwanzig Jahre halten könnte, weil sich wechselnde Sängerbesetzungen ruck, zuck einarbeiten lassen. Für jeden Akt gibt es ein eigenes hübsches Bühnenbild. Besonders bunt und turbulent gerät die finale Fiesta vor der Pappmaché-Arena.

Dann ist Carmen tot, Don José lässt sich festnehmen, und die Berliner Philharmoniker werden am Ostermontag, nach sechs Konzerten und dem zweiten Opernabend, beim Abschied leise Servus sagen. 2013 starten sie in Baden-Baden durch, im Salzburger Graben nehmen die Dresdner Kollegen Platz.

Die Neuen gibt’s übrigens zum Einführungspreis: Die besten Tickets kosten dann nur noch 490 Euro.











 
 
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