Badisches Tagblatt
Lotte Thaler
 
Konzert, Baden-Baden, 25. März 2012
 
Nach der Pause ein strahlender Held
 
Diesmal hat er nicht abgesagt: Jonas Kaufmann singt Lieder von Gustav Mahler und Richard Strauss
Foto: Schweigert
Das gab es bisher noch nicht im Festspielhaus: ein Konzertbesucher in den vordersten Reihen unterbrach die Aufführung von Gustav Mahlers „Kindertotenlieder" nach dem ersten Lied und forderte den Sänger Jonas Kaufmann auf, einen Schritt nach vorne zu machen, um ihn besser zu sehen_ Kaufmann lehnte dies Begehren mit der verständlichen Begründung ab, für ihn wäre es wichtiger, den Dirigenten zu sehen.

In der Tat, denn die MahlerLieder waren Schwerstarbeit, die Kaufmann aufs Äußerste forderten und oft an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten brachten. Eigentlich hat Mahler seine „Kindertoten-lieder" einer Frauenstimme zugedacht - dann wirken sie auch noch schauriger -, nicht einem Tenor, der mit den ständigen Registerwechseln Probleme bekommen muss und sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe sehr angestrengt wirkte. Warum tut sich Kaufmann dies an? Zumal diese grausigen Lieder nicht gerade der Stimmungsbringer zu Beginn eines Konzerts sind. Wer also den strahlenden Helden Jonas Kaufmann erwartet hatte, musste bis zu den ausgewählten Orchesterliedern von Richard Strauss warten.

Hier fühlte sich Kaufmann sichtbar und hörbar wohler, er sang die Lieder von Strauss auswendig, und man spürte gleich bei der „Heimlichen Aufforderung', dass ihm das Strauss'sche Melos viel besser liegt als die eher instrumental geführte Singstimme bei Mahler. Strauss kleidet die Stimme gewissermaßen orchestral ein, Mahler lässt sie nackt stehen. Strauss gibt der Stimme Schutz, Mahler setzt sie aus. So konnte Kaufmann etwa im Lied „Ich trage meine Minne" mit dem musikalischen Höhepunkt auf die Zeile „meiner Liebe goldsonnige Pracht" seine Tenorhöhe ohne Beklemmung ansteuern und frei aussingen. Was also bei Mahler oft noch Zitterpartie war, erhielt bei Strauss beherrschte, kontrollierte Gestaltung und große Variabilität, besonders in den leisen Passagen. Natürlich war man für jede opernmäßige Anspielung dankbar, und wenigstens einmal dichte Kaufmann seine Stimme voll auf - am Schluss der „Cäcilie" -, was im prompt den gewünschten Beifall einbrachte.

Jonas Kaufmann und Baden-Baden - das ist ein Kapitel für sich. Zweimal hatte der Sänger seine Mitwirkung an den Silvester-Konzerten abgesagt, diesmal fiel der angekündigte Dirigent Andris Nelsons aus. An seiner Stelle leitete der Engländer Michael Seal das City of Birmingham Symphony Orchestra. Er tat dies vielleicht weniger charismatisch als Nelsons, aber mit überlegener Ruhe und Umsicht. Das Orchester kennt ihn als Gastdirigenten und schätzt ihn offensichtlich sehr, denn es brillierte regelrecht mit der zweiten Sinfonie op. 43 von Jean Sibelius nach der Pause.

Ganz selbstverständlich musizierte das Orchester diese oft seltsame Musik mit ihren hinreißenden Blechbläser-Hymnen - eine englische Spezialität, vor allem in den Posaunen - und den originellen Streicherpassagen, die mitunter ins Leere zu laufen schienen, bis sie von volkstümlichen Holzbläsern aufgefangen wurden. Der dritte Satz erinnerte an Filmmusik kurz vor dem Happy End - es kam dann auch im Finale in einer apotheotischen Feier, die sogar Mahler vor Neid erblassen ließ.






 
 
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