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nmz, 1.8.2012 |
Von Peter P. Pachl |
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Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012 |
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Die Sehnsüchte des reichen Bürgers: Erstaufführung der Urfassung von Strauss’ „Ariadne“ bei den Salzburger Festspielen
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Erstmals ist in Salzburg die vor 100 Jahren uraufgeführte Urfassung von
Richard Strauss’ sechster Oper „Ariadne auf Naxos“ zu erleben. Damals hatte
Max Reinhardt mit seinem Berliner Ensemble in Stuttgart gastiert, um die der
„Ariadne“-Handlung vorausgehenden zwei Schauspiel-Akte „Der Bürger als
Edelmann“ künstlerisch optimal zu realisieren, Nun ermöglicht der neue
Salzburger Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf als Regisseur den Bogenschlag
zwischen Schauspiel und Oper im Kleinen Haus für Mozart: ein Stück im Stück
im Stück.
Novum von Bechtolfs „Fassung für die Salzburger Festspiele
2012“ ist die Integration des Dichters Hugo von Hofmannsthal und seiner im
„Ariadne“-Uraufführungsjahr 1912 begonnenen problematischen Liebesbeziehung
zur verwitweten Gräfin Ottonie als einer zusätzlichen Rahmenhandlung. Zwar
wird die bemängelte Länge der Urfassung von drei Stunden so noch einmal
überboten, aber was im neuen Libretto als Konstrukt erscheint, löst sich im
Spiel der Inszenierung Bechtolfs als echter Theatercoup ein.
Auf
solche Weise integriert der Bearbeiter etwa einen sehr schönen Text über die
Verwandlung des Darstellers in einen Rollenträger und die Diskrepanz
zwischen Privatleben und Bühnenexistenz. Dazu treten in der Garderobe des
letzten Bildes des zweiten Aktes nun auch die Personen Elektra, Ägisth und
Klytämnestra (aus „Elektra“), Octavian und Feldmarschallin (aus dem
„Rosenkavalier“) und die „noch in Arbeit“ befindlichen Personen Kaiserin und
Geisterbote (aus der „Frau ohne Schatten“) in Erscheinung. Dazu noch Mammon,
Tod und Teufel (aus dem „Jedermann“) – wenn auch der vorletzte Salzburger
„Jedermann“-Darsteller, Peter Simonischek, wohl nur bei der Premiere den
kurzen, stummen Auftritt à la Hitchcock als Hommage für den neuen
Schauspielchef Bechtolf gewährleistet hat.
Im weißen Grundraum von
Rolf Glittenberg begegnen sich Hofmannsthal und Gräfin Ottonie, und der
dichtende Liebhaber erzählt der Witwe sein neues Opernprojekt so plastisch,
dass es zur Bühnenwirklichkeit wird: hinter der hohen Fensterfront tauchen
die Gestalten des Molière-Stücks auf, Hofmannsthal (Michael Rotschopf)
schlüpft in die Rolle des Musiklehrers und später in die des Dorante, die
Gräfin (Regina Fritsch) in die Rolle der umschwärmten Witwe Dorine und
geistert als eine Doppelgängerin der verlassenen Ariadne auch im dritten
Akt, der eigentlichen Oper, über die wüste Insel, hier symbolisiert durch
drei zertrümmerte, entkernte Konzertflügel.
In die von Hofmannsthal
von fünf Akten auf zwei Akte eingestrichenen Molière-Komödie „Le Bourgois
gentilhomme“ hat Strauss 15 Musiknummern integriert. Im Gegensatz zum
dritten Akt bietet Salzburg nur eine englische Übertitelung, obgleich es für
die Gesänge – etwa die als Kostprobe des Komponisten (Thomas Frank)
dargebotene Schäferszene – mangels Textverständlichkeit durchaus hilfreich
gewesen wäre. Selbst der Überbrettl-Ton, den Strauss in den von ihm
vertonten Gedichten Otto Julius Bierbaums zu veredeln trachtete, ist in Form
eines Couplets des Herrn Jourdain eingeflossen. Strauss begleitet die Tanz-
und Fechtversuche dieses reichen Bürgers, der so gerne ein Adeliger wäre
(auf dem Wege zu einem durch Geldgeschenke Neugeadelten Herrn von Faninal!)
und die Gänge des Soupers, die tänzerisch durch drei Diener aufgewertet
werden, die selbst aus jenen Flaschen trinken, aus denen sie die edlen Weine
kredenzen. Als Omelette Surprise springt aus einer Gauche ein Tänzer. Für
die Choreographie zeichnet kein Geringerer als Heinz Spoerli verantwortlich.
In der Garderobe singt Zerbinetta ihre im Original gesprochenen Dialoge
a cappella, um so den Komponisten in doppelter Weise zu becircen, und der
vorzeitig abreisende Sänger (der spätere Bacchus) radebrecht auf englisch
und italienisch. Die Diskussion über die Pause, die nach dem zweiten Akt
einsetzen soll, löst vorzeitig Applaus aus und zerstört leider den
musikalischen Übergang vom französischen Rahmen à la Couperin zur typisch
straussischen Tonsprache der mythologischen Phantasmagorie.
Verblüffend ist die sparsamere Orchesterbegleitung gegenüber der vier Jahre
später entstandenen Fassung als Oper mit auskomponiertem Vorspiel.
Insbesondere die Partie der Zerbinetta und ihre Koloraturen sind in der
früheren Fassung dramaturgisch sinnfälliger. Ihre um einen Ganzton höhere,
nun bis zum hohen Fis führende Bravourarie ist dabei auch um rund achtzig
Takte länger und ungleich diffiziler komponiert. Elena Moșuk singt die
Zerbinetta wie ein Zeisig, mühelos und bravourös, leider von Marianne
Glittenberg als Puppe entpersönlicht, in einem Oskar Schlemmer
nachempfundenen Kugelrock. Der Komponist „begleitet“ sie am zerstörten
Flügel, und sie kommentiert, als ein Beispiel der „unbegreiflichen
Verwandlung“, seine Erektion. Im Kreise der wenigen Gäste auf den 40 Stühlen
des großbürgerlichen Auditoriums mischt sich auf der Bühne der Bühnen mit
einer Oboe auch der von Peter Matić sehr human gezeichnete, vielfältig
einsetzbare Haushofmeister.
In der Urfassung des Monologes der
Ariadne wird Strauss’ Bezugnahme auf den Freiheitsgesang aus „Guntram“
deutlich. Emily Magee gestaltet die von Theseus verlassene, auf den Tod
wartende Heroine dramatisch, wenig textverständlich und mit
Vokalverfärbungen. Harlekin (Gabriel Bermúdez), Scaramuccio (Michael
Laurenz), Truffaldin (Tobias Kehrer) und Brighella (Martin Mitterrutzner)
bilden in Einzelleistungen und als Ensemble ein treffliches, virtuos auf
Rollern fahrendes Ensemble, dem sich noch zwei Tänzer zugesellen. Sehr
homogen klingt das Terzett von Najade (Eva Liebau), Dryade (Martie-Claude
Chappuis) und Echo (Elena Buratto).
Zu Recht gefeiert wird
Jonas Kaufmann als ein gertenschlanker Bacchus im Leopardenanzug;
faszinierend seine mühelose Höhe in der Circe-Erinnerung, und verblüffend
die satte, verhaltene Mittellage, mit dem Kopf in Ariadnes Schoß.
Fünf zusätzliche Kronleuchter, die sich zur Liebesszene von Ariadne und
Bacchus fast bis auf den Bühnenboden gesenkt hatten, heben sich wieder, wenn
der umfangreichere Schluss logisch zurückführt in die Rahmenhandlung,
zunächst mit Zerbinetta und den Komödianten, dann zum Veranstalter von
tragischer Oper plus Komödie: Monsieur Jourdain hat in einem Melodram das
letzte Wort. Cornelius Obonya verkörpert den Bürger mit seinem Hang zum Adel
genussvoll, mit Körpergewandtheit und stimmlichen Facetten, bis hin zum
Couplet.
Die hier kammermusikalisch aufspielenden Wiener
Philharmoniker, angereichert um Celesta, Harmonium und Klavier, sowie mit
zwei Harfen, klingen im ersten Teil oft dünn, die Streicher offen und nicht
immer sauber. Aber Dirigent Daniel Harding leitet den Historismus zielsicher
in die orchestrale Emphase des dritten Aktes und kostet die Urfassung als
eine echte Preziose aus.
Dennoch findet die dankenswerte
Programmbereicherung durch den neuen Intendanten Alexander Pereira nicht den
gebührenden Zuspruch beim Publikum, das trotz sehr prominenter Besetzung das
Kleine Haus für Mozart keineswegs füllt, aber bei der zweiten Aufführung
heftig applaudiert.
Diese Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“
wird anschließend auch an der Wiener Staatsoper zu sehen sein, genauer
gesagt, jedoch nur die Salzburger Dekorationen und Kostüme. Denn in Wien
wird die gängige Fassung aus dem Jahre 1916 gespielt. Die Realisierung der
ursprüngliche Koppelung mit dem „Bürger als Edelmann“ sichert den Salzburger
Festspielen ein Alleinstellungsmerkmal.
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