Münchner Merkur, 30.7.2012
Markus Thiel
 
Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012
 
Oper mit allem: Ariadne auf Naxos
 
 
Salzburg - Überdrehtes Schauspiel, elegisches Musiktheater: Die Kritik zu Sven-Eric Bechtolfs Neu- und Urfassung von „Ariadne auf Naxos“ bei den Salzburger Festspielen.
 
Am Ende soll’s der König von Württemberg gewesen sein. Zu viel gefuttert in der Pause, zu viel getratscht – die Stuttgarter Uraufführung anno 1912 wurde zur Nachtschicht und das Publikum sediert. Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal dokterten daraufhin an ihrer „Ariadne auf Naxos“ herum. Und was einst als Vermählung von Schauspiel (Hofmannsthals Fassung von Molières „Bürger als Edelmann“), Tanz und Gesang, von Tragödie und Buffa gedacht war, das wurde dann der bekannte Opern-Zweiakter.

Die Zusammenführung aller Bühnenkünste, so etwas schwebte einst Hofmannsthal auch für die Salzburger Festspiele vor. Die „Ariadne“-Urfassung also – wo, wenn nicht hier? Aber da gibt es noch den selbstbewussten neuen Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf. Dem stand nicht der Sinn nach Rekonstruktion, sondern nach Eigenem. Doch siehe da: Alles Lästern – Bechtolf, der Gelegenheitsautor; Bechtolf der Dreifachverdiener als Chef, Regisseur, und Texter – verpuffte. Ja, so wie im Haus für Mozart kann man die „Ariadne“ tatsächlich spielen. Und ja: Man durfte sich königlich amüsieren.

Bechtolfs Zusatzhandlung hilft der Sache sogar. Er lässt Hofmannsthal selbst (Michael Rotschopf) und die authentische von ihm angebetete, frisch verwitwete Gräfin Ottonie (Regina Fritsch) auftreten. Aus der Erzählung des Bühnen-Hofmannsthals entwickelt sich das Doppel „Bürger/Ariadne“, dem das noble Paar nicht nur beiwohnt: Er und sie identifizieren sich mit Bacchus und Ariadne, zwei Doppelgänger der antiken Figuren, die dank der Oper zueinander- und sich endlich im Kuss wiederfinden. Wo die Spätversion der „Ariadne“ im Grunde offen endet, bietet die Bechtolf’sche „Urfassung“ nun die vermisste Rundung.

Es ist eine virtuose Collage aus Hofmannsthal-Briefen, Dramentext und Bechtolf-Beilage. Und im ersten Teil vor allem pralle Comedy, deren Weaner Witz manch internationalem Salzburg-Gast wohl Rätsel aufgibt. Im Mittelpunkt: Cornelius Obonya als Möchtegern-Blaublut Jourdain. Der ist kein Popanz, sondern ganz verzogenes Kind. Grell, durchgeknallt, mindestens zehn Umdrehungen zu viel aufgezogen. Ein herrlicher Naivling, bei dem der Haushofmeister (Peter Mati) als genervter Erzieher fungiert und mit dem man gern über die Balletteinlagen (an denen er natürlich teilnimmt) oder die ironisch vorgeführten Figuren aus Hofmannsthal-Dramen staunt. Der Jedermann darf da nicht fehlen: Peter Simonischek sichert sich mit stummem Mini-Auftritt einen Überraschungsapplaus.

Dazu passt auch das aufgekratzte Spiel der Wiener Philharmoniker. Dirigent Daniel Harding stachelt das solistische Selbstbewusstsein der Musiker noch an. Was sonst nur eine Archivexistenz führt, darf jetzt im Neonlicht funkeln. Die Tänze tönen fast derb, Heinz Spoerlis Zürcher Solisten führen dazu ihre Finessenkunst vor. Also doch die Ehrenrettung für die „Ur-Ariadne“? Dagegen sperrt sich die „Oper“ nach der Pause. Deren Erstfassung ist zu lang, jedenfalls in dieser Salzburger Aufführung. Vor allem, weil sich Bechtolf nun in deutungsarme Konvention zurückfallen lässt. Und weil Harding plötzlich den Schalter umlegt und einen viel zu elegischen Ton bevorzugt.

Was im ersten Teil, in Rolf Glittenbergs lichtem Salon, delikates bis drastisches, gut rhythmisiertes Schauspiel war, eine Verzahnung von Molières Barock und 1920er-Jahre, das driftet nun ins Sängervorführtheater. Von der Tragik Zerbinettas, von ihrer Verwandtschaft zu Ariadnes Weltschmerz keine Spur.

Hinten sitzt das Personal aus dem ersten Teil samt Jourdain (der anfangs vorlaut eingreift), davor zwei zerbrochene Flügel, etwas Streusand darunter, das ist Ariadnes Insel. Auf der darbt Emily Magee mit tiefenblassem, glanzarmem Sopran. Die Herkulesaufgabe schultert ohnehin Elena Mouc. Die Urfassung der Zerbinetta-Szene ist ein Anschlag auf die Stimmbänder. Einen Ton höher notiert, dazu mit Extra-Verzierungen, die sich ins Abartige versteigen. Die Mouc singt das mit wenigen Farben, Konsonanten hält sie eher für überbewertet, und doch: Alle Töne bis in die Stratosphäre kommen sicher, eine stupende Leistung,

Viel mehr als Commedia-Munterkeit ist Bechtolf zu Zerbinettas Truppe nicht eingefallen – wenn wenigstens Gabriel Bermúdez, Michael Laurenz, Tobias Kehrer und Martin Mitterrutzner daran Spaß haben... Was für ein Ereignis dagegen der Auftritt des Superstars, von Bechtolf angemessen inszeniert. Jonas Kaufmann, im eng anliegenden Leopardenanzug, was an Bacchus’ Reittier gemahnt, singt den jungen Gott mit enormem Kraftaufwand und rekordverdächtigem Schluchzer-Anteil. Gesang wie aus dem Fitnessstudio, ein vokales, auch grenzwertiges Muskelspiel, das Parkett und Ränge flächendeckend beschallt.

Am Ende erwacht bei Bechtolf doch noch der Gestaltungswillen. Nicht nur Ariadne gruselt sich vor diesem vermeintlichen Todesboten, auch er, der reine Tor, muss seine Frauenfurcht erst überwinden. Ariadne und Bacchus als Verwandte Brünnhildes und Siegfrieds – eine aparte Überblendung. Bechtolfs Extras, vom Publikum heftig gefeiert, bleiben freilich Salzburg-exklusiv. Im Herbst wandert die Produktion weiter nach Wien, die Staatsoper pocht indes auf die Zweitfassung: Experimente? Das fehlte noch.

Die Handlung

Jourdain drängt es in adelige Kreise. Er macht sich dazu an eine Blaublütige heran, obgleich er verheiratet ist. In seinem Palais beschäftigt er einen Komponisten und eine Theatertruppe. Weil Jourdain die Oper um die einsame Ariadne auf einer Wüsteninsel zu langweilig ist, befiehlt er dem Komponisten, dass seine Oper gleichzeitig mit einer Posse aufgeführt werden soll. Der Komponist verliebt sich in Zerbinetta, die mit ihren Kollegen sein tragisches Ariadne-Stück durchkreuzt. In der Aufführung versucht Zerbinetta, Ariadne, die den Verlust ihres Geliebten Theseus beklagt, aufzumuntern. Schließlich naht der von ihr noch unerkannte Bacchus, Ariadne erlebt das Wunder der Verwandlung und der neuen Liebe.
Die Besetzung

Dirigent: Daniel Harding. Regie: Sven-Eric Bechtolf. Bühne: Rolf Glittenberg. Kostüme: Marianne Glittenberg. Choreographie: Heinz Spoerli. Darsteller: Emily Magee (Primadonna/ Ariadne), Elena Mouc (Zerbinetta), Jonas Kaufmann (Tenor/ Bacchus), Eva Liebau (Najade/ Schäferin), Marie-Claude Chappuis (Dryade/ Schäfer), Eleonora Buratto (Echo/ Sängerin), Gabriel Bermúdez (Harlekin), Michael Laurenz (Scaramuccio), Tobias Kehrer (Truffaldin), Martin Mitterrutzner (Brighella), Peter Mati(´c) (Haushofmeister), Thomas Frank (Komponist), Cornelius Obonya (Jourdain), Michael Rotschopf (Hofmannsthal), Regina Fritsch (Ottonie/ Dorine) u.a.












 
 
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