Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. November 2011
JORDAN MEJIAS
Recital, Metropolitan Opera, New York, 30. Oktober 2011
Jonas Kaufmann - Dr. Faustus verführt New York
 
 
Niemand geht in die New Yorker Metropolitan Opera, um Kammermusik zu hören. Ein Haus mit viertausend Plätzen für einen Liederabend? Lächerlich. Der letzte Tenor, der dort nur einen Pianisten mit auf die Bühne brachte, hieß Luciano Pavarotti. So geschehen im Jahr 1994, als der Sänger sechzig Jahre alt und längst eine Legende war. Und Pavarotti gab keinen Liederabend, er sang sich durch ein buntes Gemisch aus beliebten Opernarien und eingängigen italienischen Canzoni. Siebzehn Jahre später durfte ihm nun Jonas Kaufmann folgen, Tenor aus München, Jahrgang 1969. Die Met, so viel war klar, zog alle Register, um ihr Publikum davon zu unterrichten, dass der nächste Superstar gefunden war.

Kaufmann aber, wie immer leinwandreif mit Wuschellocken und Dreitagebart, tat etwas buchstäblich Unerhörtes. Um vier Uhr nachmittags am spielfreien Sonntag begann er mit Liszts "Vergiftet sind meine Lieder" und hörte mit Strauss' "Cäcilie" auf. Dazwischen hatte er Mahler und Duparc aufs Programm gesetzt. Er wagte es also, einen ganz und gar traditionellen, in jeder Hinsicht seriösen Liederabend anzubieten. Ohne sich anzubiedern. Lediglich bei den vielen Zugaben machte er mit Lehárs Operettenohrwurm "Dein ist mein ganzes Herz" ein einziges Zugeständnis an den Massengeschmack. Selbst dabei aber ließ er sich nicht zu jenen Unarten verführen, wie sie allzu oft als Kennzeichen tenoraler Bravour missverstanden werden.

Kaufmanns Tenor ist ein sorgfältig gebautes und eingesetztes Instrument, das mit seinem ungewöhnlichen Farbenreichtum, seiner Fähigkeit, dynamische Nuancen auszukosten, und seiner noch die oberste Lage umfassenden Biegsamkeit keine Konkurrenz hat. Das erlaubt ihm, all seine Opernpartien, die mittlerweile auch Wagners Halbschwergewichtler einschließen, mit der Sorgfalt und dem Feingefühl eines Liedersängers zu gestalten. Gerade unter großformatigen Tenören ist er damit heutzutage nichts weniger als eine Sensation. Welcher Don José kann seine Carmen in der sogenannten Blumenarie mit einem hohen B berücken, wie es im sanften, samtigen Pianissimo Kaufmann zur Verfügung steht? Aber auch den squillo, die gleißende Durchschlagskraft, hält er locker parat, was für eine derart dunkel eingefärbte Stimme nicht selbstverständlich ist.

Bemerkenswert, dass ein deutscher Tenor in der internationalen Topliga auch im französischen und italienischen Fach engagiert wird. Sogar die notorisch mäkelnden New Yorker ließen sich in der Carnegie Hall zu Jubelstürmen hinreißen, als Kaufmann in Francesco Cileas Verismo-Schocker "Adriana Lecouvreur" die Spitzentöne funkeln ließ, neben Angela Gheorghiu, der kapriziösesten aller Diven. Mit der Gheorghiu sollte er morgen auch in der Premiere von Charles Gounods "Faust" in der Met auf der Bühne stehen. Die Sängerin aber will lieber nicht in einer von der English National Opera übernommenen Produktion auftreten, die der Regisseur Des McAnuff in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verlegt. Als Dr. Faust, ein weltbekannter Atomphysiker, wird Kaufmann darum die Marguerite der feinnervigen Marina Poplavskaya vorfinden. "Salut, demeure chaste et pure" beginnt die Cavatine, die er in ihrem Zimmer anstimmt. Darin mutet Gounod dem Tenor am Ende einen Sextsprung aufs zweigestrichene C zu, versehen mit einer Fermate, alles im Piano. Für die voix mixte eine Paradestelle. Und für Kaufmanns Kehle wie geschaffen.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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