Der Neue Merker
Ursula Wiegand
Mahler: Das Lied von der Erde, Berlin, Philharmonie, 18. Mai 2011
Berlin: Abbados Sonderkonzert zum 100. Todestag von Gustav Mahler am 18.05.2011
 
 
Wer, wenn nicht Claudio Abbado, wäre mehr berufen, Gustav Mahler (1860-1911) an seinem 100. Todestag zusammen mit den Berliner Philharmonikern zu würdigen? Seine Mahler-Interpretationen mit diesem Klangkörper haben eine lange Tradition. Schon 1967 hat der Maestro mit den Berliner Philharmonikern erstmals die Rückert-Lieder aufgeführt, und mit Mahler hat er sich 2002 als ihr Chefdirigent verabschiedet.

Gerade ist Abbado vom 13.-15. Mai 2011 hier zu Gast gewesen und hat mit den Philharmonikern drei Konzerte gegeben. Kurzfristig hat er sich zu diesem Sonderkonzert am 18. Mai entschlossen. Dass die Philharmoniker nach wie vor sehr gerne unter seiner Leitung spielen und seine Vorstellungen dezidiert umsetzen, ist stets herauszuhören. An diesem besonderen Abend in einmaliger Weise. Sie spielen wie aus einem Guss, werfen sich zusammen mit Abbado in die Partitur.
Abbado bringt erneut – wie vor wenigen Tagen – das „Adagio aus der Symphonie Nr. 10“ (Aufführungsversion von Deryck Cooke). Diese Symphonie von 1910 ist bekanntlich ein Fragment geblieben und wurde zu Mahlers Lebzeiten nicht mehr aufgeführt.

Ohnehin hatte Mahler nur dieses ausdrucksstarke Adagio vollendet. In der Zeit einer großen persönlichen Krise. Der Komponist, schon gesundheitlich angeschlagen und dennoch ein „Workaholic“, fürchtete nicht ohne Grund, seine schöne Frau Alma an Walter Gropius zu verlieren.

So steckt schon das allein den Bratschen zugeordnete Anfangsthema voller Sehnsucht und Zärtlichkeit und wird von den Streichern großartig dargebracht. Das zweite, optimistischer klingende Thema, erfordert das ganze Orchester. Und da lassen sich die Berliner Philharmoniker nicht zweimal bitten. Ängste und Eifersucht kündend, mischen sich die Bläser mit gewollter Schärfe ein. Immer dramatischer wird die Musik, schwingt dann ins Tänzerische, so als wären die Sorgen nur Einbildung.
Diese zuversichtlichere Stimmung ist schnell vorbei, denn dem „più pianissimo“ folgen ein Choral und ein rabiater Neuntonschlag. Todesahnungen? Insgesamt wiederholen sich die Motive, so als wolle Mahler durch diese gebetsmühlenartige Folge von schönen Erinnerungen, Hoffnungen und Ängsten dem Gefühlssturm in seiner Seele Herr werden. Abbado und die Philharmoniker verleihen jeder dieser Wiederholungen eine eigene brillante Farbe. Generell betrachtet geht Abbado das „Adagio“ nicht die Spur rührselig an, sondern intensiv und in recht straffem Tempo. Er verstärkt damit dessen Expressivität, als wolle er darlegen: Mahler lebt. - Riesiger Beifall.

Ohne Pause schließt sich „Das Lied von der Erde“ an. Diese wunderbar poetischen Verse aus dem China des 8. Jahrhunderts trafen offenbar genau Mahlers Stimmung im Schicksalsjahr 1907, als sein ältestes Töchterchen starb und die Ärzte ihm selbst sein baldiges Ableben ankündigten. Nach Mahlers Tod hat es Bruno Walter uraufgeführt.

Abbado dirigiert auch dieses, oft eher leise Werk mit straffem Zügel. Den Interpreten der Texte - Anne Sofie von Otter und Jonas Kaufmann – macht es der Maestro, der das Orchester klangselig aufspielen lässt, damit nicht leicht. Jonas Kaufmann mit seinem operngestähltem Tenor kann sich dagegen bestens behaupten. Dennoch hätte ich mir bei der Nr. 1 – „Das Trinklied vom Jammer der Erde“ – etwas mehr Zurückhaltung der Instrumentalisten gewünscht. Insbesondere die Schlusszeile fast aller Verse, „Dunkel ist das Leben, ist der Tod!“ wurde so etwas um ihre eindringliche Wirkung gebracht.
Fabelhaft gelingt Kaufmann die Nr. 5, „Der Trunkene im Frühling“. Das ist ihm wie auf den Leib komponiert, das bringt er mit jugendlichem Überschwang, das glaubt man ihm sofort. Eine Glanzleistung. Nach der letzten Zeile dieses Frühlingsgedichts, „Lasst mich betrunken sein!“ gönnt er sich selbst ein kurzes, zufriedenes Lächeln. Ja, er kann mit sich zufrieden sein. Das ist der gesangliche Höhepunkt des Abends.


Weit mehr Mühe hat Anne Sofie von Otter. Gegen denvoluminösen Orchesterklang hat ihr zarter Mezzo oft wenige Chancen. Ganz vorsichtig setzt sie die Spitzentöne an, und manche Silben gehen im Rausch der Philharmoniker unter. Sie wirkt überfordert. Auch scheint sie ihre Reserven für den letzten langen Part, „Der Abschied“, zu schonen.
Bei dessen tragischen Versen halten sich Abbado und die Philharmoniker glücklicherweise zurück, jetzt kann Anne Sofie von Otter neben Innigkeit auch stärkeren Ausdruck entwickeln. Bläser umrahmen einfühlsam ihre Darbietungen, die sie mit spürbarer Anteilnahme gestaltet.

Nach diesen Abschiedszeilen, die mit einem „Ewig…ewig…“ enden, herrscht im der ausverkauften Philharmonie zunächst langes, ergriffenes Schweigen. Danach bricht sich der Jubel Bahn. Ovationen ohne Ende für diesen ganz besonderen Abend.
 






 
 
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