WAZ, 12. Oktober 2011
Dirk Aschendorf
Konzert, Essen, 10. Oktober 2011
 
Jonas Kaufmann: ein Komplettpaket für Ästheten
 
Dramatische Höhen und ein dunkler Lockenschopf. Der deutsche Tenor ließ das Publikum in der Essener Philharmonie vor Begeisterung toben
 
Essen. Das Auge hört mit: Was längst für jedes Plattencover gilt, macht auch vor dem Klassiktempel nicht halt. Wenn einer wie Jonas Kaufmann auftritt, bucht man ein Komplettpaket: dunkler Lockenschopf, glutvolle Augen, charmantes Lächeln und - ja, deswegen strömten die Fans schließlich in Essens Philharmonie - jener Stimme, mit der sich der 42jährige Münchner spätestens
seit seinem Bayreuther „Lohengrin" oder an der Seite von Star-Anna (Netrebko) in die Sphäre der Traumtenöre sang.
Als er jetzt schlank, gut gelaunt im smarten Smoking die fast zum Stehkragen gefüllte Philharmonie betrat, schienen die letzten krankheitsbedingten Absagen wie Schnee von gestern. Im Gegensatz zum zumindest rein optisch rivalisierenden Tenorhelden Rolando Villazon eroberte Kaufmann sichtlich ausgeruht und mit der für ihn typischen ausdrucksstarken Mittellage und entspannt-strahlender Höhe den Saal. Die Klassik-Szene hat ihn nach Absagen in München oder Mailand wieder. Dass der Hype auch entsprechend weitergeht, dafür werden die Marketing-Strategen schon sorgen.

Zwischen italienischem Verismo der Puccini-Zeitgenossen Cilea, Mascagni und Giordano und natürlich Wagner spannte sich Kaufmanns romantischer Bogen, für den die Bochumer Symphoniker unter Jochen Rieder den perfekt grundierten wie (sänger-) freundlich transparenten Boden bereiteten.

Kaufmanns Timbre: nach wie vor unverwechselbar. Eher baritonal, mit einem expressiven, wenn auch leicht verschleiertem Piano, wie in Ponchiellis Hit „Cielo e mar" direkt zu Anfang zu erleben. Wenn er seine Stimme öffnet, zur dramatischen, nie unangenehm harten Höhe führt, spürt man seine Reserven. Wer nach der Szene des Andre Chenier „Un di all'azzurro spazio" aus Giordanos gleichnamiger Oper noch Siegmunds „Winterstürme" und vor allem Lohengrins Gralserzählung nicht nur kraftvoll, sondern stilsicher folgen lässt, gewinnt auf breiter Front. Und wer wollte nach drei Zugaben - darunter Cileas „L'anima ho stanca" oder dem entwaffnend-charmant gesungenen Tauber-Hit „Du bis die Welt für mich" - noch über ein leicht belegtes Mezzavoce reden, wenn der Saal tobt?
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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