Der Neue Merker
Peter Bilsing
Konzert, Essen, 10. Oktober 2011
 
Jonas Kaufmann - "Grande!"
 
Allerhöchste Maßstäbe - Weltklasse-Tenor mit kleinen Einschränkungen
 
Liebe Opernfreundinnen! Auch wenn Ihr mir jetzt Morddrohungen schickt und mich zur Persona non grata erklärt - ich kann nicht anders. Eine gewisse Kritik muß auch bei einem Superstar sein. Ist er auch noch so sympathisch und herzerfrischend nett.

Jonas Kaufmann ist der beste deutsche Tenor, den ich in 50 Jahren live das Italienische Fach (Belcanto / Verismo) habe singen hören. Ein Grande des Italianita. Ein begnadeter Tenor in diesem Bereich. Geradezu unfassbar, was für ein Stimmvolumen der smarte, blendend aussehende Sänger hat. Sein Andrea Chenier ist unübertroffen! Sein Turridu klingt, als hätte Mascagni die Rolle genau für ihn geschrieben! Sein Maurizio (La Dolcissima Effigie) hat nie jemand toller gesungen! Was für ein Ausdruck bei Zandonais "Giulitta! Son io!" (Giulietta et Romeo) - man könnte mitweinen. Was hat dieser Ausnahmesänger für eine phänomenale Atemtechnik; seine Gesangstechnik, gerade die großen Bögen, sind wirklich atemberaubend. Wo nimmt er die Luft her? Wie entsteht die Stimme bei so einer eigentlich leichtgewichtigen Person. Er straft alle sogenannten Fachleute Lügen, die behaupten eine große Stimme brauche einen großen (gemeint ist die "dicke Wampe"!) Resonanzkasten. Unsinn! Da steht ein junger Kerl, der erheblich jugendlicher wirkt, als seine 42 Lenze vermuten lassen und singt zum Herzerweichen schön; noch dazu mit einem Ausdruck, der seinesgleichen suchen kann. Da tritt kein Pausenclown a la Villazon auf und kein sensibler Minimalsänger Florez, der in Essen vor kurzem wegen einiger weiblicher Fans (fotografierender, eigentlich liebenswürdiger älterer Damen, die teilweise über 200 Euro ausgegeben hatten) fast sein Konzert abgebrochen hätte bzw. darauf im zweiten Teil das Publikum mit Arienreduktion bestrafte.

Nein, Jonas Kaufmann ist ein Sensation - nicht nur auf Silberscheibe, sondern besonders live.

Aber... !

Warum singt er teilweise im falschen Fach? Entschuldigt bitte, liebe goldene Wagner-Ketten-Träger (ich weiß, Ihr seid unbarmherzig), warum singt der Junge solche Kawenzmänner wie Siegmund, Parsifal oder auch Lohengrin - wobei letzterer ja nicht ganz so schwer ist, also ein zu bewältigende Part ist? Jonas Kaufmann gibt alles - er singt wie um sein Leben. Aber die "Winterstürme" sind - egal wie oberflächlich kühn es klingt - absolut nicht sein Fach! In der Gralserzählung arbeitet er schon clever mit Reduktion; das klingt dann nicht so stimmmordend. Man möchte ihm raten - vielleicht ist es ja auch eine Frage der Honorierung -:

"Junge, bitte lass die Finger von Wagner! Wir wollen Deine geniale Stimme auch noch in 20 Jahren hören! Das ist wirklich nicht Dein Fach, egal wie laut die Fans jubeln."

Drei Zugaben: 1) "L´anima stanca" (Adriana Lecoureur / Cilea) 2) "Du bist die Welt für mich" (Der singende Traum / Richard Tauber) 3) "Ombra di nube" (ebd.)

Wobei die Operetteneinlage sicherlich eher ein Dankeschön ans Publikum und eine Hommage an den großen Richard Tauber sein sollte, als ernstgemeinte Interpretation, denn für dieses Fach fehlt Kaufmann doch der nötige Schmelz, und die Stimme ist eigentlich zu schwer; dennoch war es der meistbejubelte Titel des Abends. Leider ist das scheinbar leichteste Fach aber immer noch das allerschwerste.

Besonderes Lob geht an die Bochumer Symphoniker (Nebenbei: eines der besten Mahler-Orchester Deutschlands, neben den Bambergern) unter dem jungen Ausnahmedirigenten Jochen Rieder. Selten hörte man bei Galakonzerten als quasi Begleitband ein so hervorragendes Orchester, welches die Ouvertüren zur Sizilianischen Vesper, die Wagner Vorspiele (1./3. Akt), Saint-Saens "Danse Bacchanale", das wunderbare Vorspiel zum 4.Akt von Catalanis "La Wally" und Mascagnis Intermezzo mit solcher Bravour, Eigenständigkeit und Feinschliff spielten. Intermezzi mit Genussfaktor. Bravo!

Fazit: Ein hinreißender Abend - ein Galaabend der Oper. Sehr anständig, dass selbst die teuren Karten (120 Euro) nur wenig über dem Preis einer guten Operkarte lagen. Kaufmann ist eben kein Abzocker, sondern eine ehrliche Haut und hochsympathische Erscheinung - ein Megastar mit wirklicher Weltstimme. Trotz meiner kleinen Einwände ein absoluter Sterne-Abend, den man nicht so schnell vergisst.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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