Die Welt, 18. August 2011 
Manuel Brug
Konzert, Berlin, Waldbühne, 16. August 2011
Hui, wie das glamourt und glittert
 
Stimmen gewinnen: Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Erwin Schrott treten in der Berliner Waldbühne auf
 
Bei Heidi Klum hätte sie keine Chance. Doch das scheint Anna Netrebko völlig egal. Stolz präsentiert sie ihre Rundungen in der Berliner Waldbühne in pfannenkuchengelber, später nachtblauer Seide, ein paar Quetschungen inklusive. Was tut's? Da steht eine schöne, glückstrahlende Frau und singt mit hinreißender, sofort bannender Stimme. Da ist auch die empfindliche Kälte im tiefen Naturtal vergessen, die etwas klirrende Tonaussteuerung und die nerzstolabewehrte Dame auf dem Nebensitz, die ungerührt in ihr Handy hackt. So wie einige VIP-VIPs erst zur zweiten Arie hereinrumpeln. Stil ist halt was anderes.

Natürlich kann man fragen, warum das sein muss: Drei berühmte Sänger, die pro Konzerthälfte (ohne Zugaben) dreimal arienträllernd auftreten, mal allein, mal zu zweit, zweimal auch im Terzett mit Noten. In einer Opernaufführung kann man sie - mitunter sogar zu zweit - wärmer, bequemer, näher, länger, authentischer und befriedigender erleben. Vor allem aber billiger. Über 400 Euro waren für die teuersten Karten zu löhnen, doch die Waldbühne war fast ausverkauft. Zum "Klassik-Event des Jahres" mit viel teurem Marketinggeschütz hochgedröhnt, findet so was im diffusen Niemandsland aus Kuschelklassik und Genusshochkultur also seine Rezipienten. Von denen augenscheinlich die meisten sonst eher selten in ein Konzert gehen.

Den drei Sängern, neben Netrebko deren erblondeter Bassbariton-Dauerverlobter Erwin Schrott und der derzeit am höchsten gehandelte Tenor Jonas Kaufmann, kann es egal sein. Zusammen mit ein paar wenigen anderen erhalten sie nach jahrelanger Ausbildung Opernspitzengagen von vergleichsweise moderatem Ausmaß, wenn man sie mit Einkünften von Spitzensportlern und Pop-Sternen vergleicht. Dabei müssen diese drei alles gleichzeitig haben: das Können, das Charisma, den Glamour, die Energie, die Kondition, die Massentauglichkeit, die Vermarktungsfähigkeit und die Stimme sowieso.

Für Kaufmann sind es die ersten Open Airs überhaupt, auch Netrebko streut solche Auftritte nur dosiert unters Crossover-Volk, trotzdem ist sie nach wie vor die Königin der Oper. 1,5 Millionen Euro Gage soll sie für die Konzerte in München, Wien und Berlin bekommen, wird kolportiert. Es sei ihr gegönnt. Solche Abende schaden niemandem. Und im Idealfall - wie diesem - machen sie sogar Spaß. Zumindest, wenn man warm genug angezogen ist.

Selbst ein solches Konzert muss freilich noch weiter vermarktet werden, als Fast-Liveübertragung im ZDF, später als DVD. Die Zuschauer vor Ort sind eigentlich zahlende Statisten. Denn auf den die Bühne flankierenden Leinwänden sieht die Waldbühne viel größer, viel gigantischer, viel geiler aus. Hui, wie sausen da Spidercams und Kranwagen durch immer steilere Perspektiven, wie glimmt und glittert es. Rasant wird vom Fagottisten auf die Harfenistin, vom Glockenturm-Panorama aufs Sopranistinnen-Dekolleté geschnitten. Sogar die seltsame Deko, ein Pseudolüster aus farbig leuchtenden Plastikkugeln und sechs monströs goldene Angelhaken, macht auf den Screens Sinn. Und spätestens in den orchestralen Zwischenspielen der Prager Philharmonie unter dem versatilen Marco Armiliato wird deutlich, dass man auch für den Instrumentalanteil dieses Abends nicht gespart hat.

Schade nur, dass man sich außer einem braven, noch gehemmt abgepressten Sprüchlein von Kaufmann im Konfirmantensmoking und einem austauschbaren Schrott-Satz keinerlei Moderation überlegt hat. Die ist allein den TV-Zuschauern in Gestalt des live stumm herumwuselnden Markus Lanz vorbehalten. Mit seinen, wie sich später erweist, Plattitüden ersetzt er die inzwischen offenbar aussortierte Nina Ruge. Was kein Schaden, aber ebe auch kein Gewinn ist.

Es muss alles mit der Stimme gewonnen werden. Was nach schnellem sich Warmlaufen sehr fein gelingt. Erwin Schrott bleibt dabei die eher undankbare Rolle des Anheizers, was er mit Leporellos guttural herausgestoßener Registerarie - zu der er in einem "Vogue"-Heft blättert - und Verdis fließender Banquo-Arie prima absolviert. Dafür darf er dann gleich viermal für seine Tangoplatte Werbung machen.

Während sich Jonas Kaufmann mit seinem langsam zur Manier werdenden Kaufmann-Knödel immer mehr für die Operette empfiehlt, der er - neben Mascagni und Ponchielli - gleich zweimal huldigt. Doch das Kunstereignis war wieder mal Anna Netrebko. Ihre ersten Versuche als Madame Butterfly und "Troubadour"-Leonore machen Heißhunger auf mehr. Und den fingerflinken "Manon"-Flirt à la Massenet mit verschmierten Kussmund, den macht ihr keine nach. Davon bald wieder mehr - im richtigen Opernhaus.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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