Die Erwartungen sind hoch, die Ticketpreise ebenfalls. Festliche
Kleidung wird kaum getragen. Bei Freiluftveranstaltungen in
diesem launischen August ist Warmes die richtige Wahl. Immerhin
bleibt es an diesem Abend in der Waldbühne trocken, und es wird
auch nicht kalt. Ein glücklicher Jonas Kaufmann will Petrus
dafür ein Bier bestellen.
Das festliche Outfit bleibt
also Anna Netrebko vorbehalten, die zuerst in schulterfreier
goldgelber, nach der Pause in dunkelgrüner Robe auftritt. Soviel
Show muss sein. Wir sind ja nicht bei einer regulären
Vorstellung im Opernhaus.
Dieser Abend ist als hochkarätige
Mixtur gemeint, und so nimmt das Publikum das Gebotene, darunter
auch weniger Bekanntes, wahr. Dass bei der Tonübertragung in
dieser Riesenarena Feinheiten verloren gehen und manches etwas
anders daherkommt als im geschlossenen Saal, liegt hier wirklich
in der Natur der Sache. Doch insgesamt ist das Hörerlebnis an
meinem Platz (unten in A 3) durchaus zufriedenstellend.
Einen schwungvollen Auftakt mit der Ouvertüre zu Smetanas „Die
verkaufte Braut“ bietet die Prager Philharmonie unter Marco
Armiliato, der auch die Sänger in den nächsten Stunden sorgsam
begleitet. Der neue Kammerchor Potsdam singt und summt tonschön,
hat aber wenig zu tun.
Den Anfang macht Erwin Schrott mit
der Registerarie des Leporello aus Don Giovanni, seiner
Paradenummer. Mit schönen Basstönen, ironisch-frechen Facetten
und entsprechendem Minenspiel könnte man meinen, er selbst sei
der Verführer so vieler Frauen gewesen. Ein gelungener Einstand.
Und dann kommt Anna. Mit ihrem inzwischen tiefer grundierten
Sopran bringt sie Butterflys Hoffnungsarie „Un bel dì vedremo“
voller Leidenschaft und mit glanzvollen Spitzentönen. Hier steht
eine Powerfrau, die der Rückkehr ihres Geliebten gewiss ist.
Jonas Kaufmann startet gut gelaunt mit der Romanze
„Cielo e mar“ aus La Gioconda, muss aber in dieser Anfangsphase
die hohen Töne sehr vorsichtig ansetzen. Bravos bekommt der
Publikumsliebling dennoch. Die verdient er sich später in der
Tat, wenn er inständig und voller Todesahnung mit „Mamma, quel
vino è generoso“ (aus Cavalleria rusticana) den Segen der Mutter
vor dem Duell erfleht. Er driftet auch nicht zu sehr ins
Kitschige ab, wenn er später mit Aplomb Richard Taubers „Du bist
die Welt für mich“ in den Abendhimmel schmettert.
Intensiv wird die Begegnung von Anna und Jonas in „Toi!Vous! –
Oui, c’est moi“ aus Manon. Wie er als verlassener Des Grieux
erst die Versöhnung verweigert, sie ihn dann aber mit ihren
weiblichen Waffen zurückgewinnt – das ist nicht nur großartig
anzuhören, sondern überzeugt, soweit in diesem Umfeld möglich,
auch schauspielerisch.Ebenfalls überzeugend
gestaltet Frau Netrebko die Szene der Leonora im 4. Akt von Il
trovatore (Der Troubadour), das „D’amor sull’ ali rosee“.
Wiegender Wohlklang, schöne Piani, aber auch einige
hervorstechende Spitzentöne, die womöglich der Tontechnik
geschuldet sind. Kaufmann als eingekerkerter Manrico singt – von
meinem Platz aus unsichtbar – aus dem Off.
Zuvor hat
Schrott in der Arie des Banco aus Macbeth - „Come dal ciel
precipita“ – neben satten Tiefen auch eine warme Mittellage
hören lassen. Er und Anna, die beiden Lebenspartner, bieten
zudem ein verschmustes Duett aus Porgy and Bess: „Bess, you is
my woman now“, sie verführerisch strahlend, er mit
zurückhaltender Gewissheit.
Noch mehr bei sich scheint Erwin
Schrott bei den Bandoneon-Stücken von Astor Piazzolla zu sein,
den gefühlvollen Klängen seiner Heimat Uruguay (Bandoneon:
Klemen Leben). Regelrechte Begeisterung löst er schließlich als
Zugabe mit seinem temperamentsgeladenen „Rojo Tango“ aus.
Menschen, besonders die weiblichen, mögen manchmal Machos.
Zu dritt treten die drei Stars zweimal auf. Zunächst mit
„Qual voluttà“ aus Verdis selten gespielter Oper I Lombardi alla
prima crociata (Die Lombarden auf dem ersten Kreuzzug) und am
Ende des Programms mit dem Fluchtterzett „Alerte, alerte, ou
vous êtes perdus!“ aus dem 5. Akt von Gounods Faust. Dabei
müssen alle Drei intensiv aufs Notenblatt schauen. Auch müssen
sich die beiden Herren anstrengen, Annas beinahe explodierendem
Sopran Paroli zu bieten.
Jonas Kaufmann gelingt
das besser als Erwin Schrott, der sich hinterher scherzhaft die
Ohren zuhält. Kaufmann setzt denn auch mit einem ganz überzeugt
klingenden „Freunde, das Leben ist lebenswert!“ um 23.00 Uhr den
intensiv umjubelten Schlusspunkt. Stehende Ovationen belohnen
sie alle.