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Berliner Morgenpost, 17. und
18. August 2011 |
Von Martina Helmig |
Konzert, Berlin, Waldbühne, 16. August 2011
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Waldbühnen-Konzert - Wer mitsummt, wird niedergezischt
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Das "Gipfeltreffen der Klassikstars" in der Waldbühne wurde zu
einem Höhepunkt der Berliner Open-Air-Saison. Anna Netrebko,
Jonas Kaufmann und Erwin Schrott präsentieren Opern, inklusive
Liebesbiss auf der Bühne.
Opernsänger singen sich selten
die Lippen wund, auch wenn sie noch so sehr schmettern und
toben. In der Waldbühne herrscht allerdings der Ausnahmezustand.
Jonas Kaufmann steht auf einmal mit einer blutenden
Lippe da. Was ist dem Draufgängertenor passiert? Ein Liebesbiss
von Anna Netrebko, ein leidenschaftlicher Zusammenprall mit der
Diva?
"Es war nur gespielt",
entschuldigt sich kokett die Operndiva. Aber was heißt hier
"nur"? Wenn sich die Netrebko mit dem Kaufmann in die große
Liebesszene aus dem dritten Akt der "Manon" vertieft, dann
fliegen nicht nur die herrlichen Stimmen einander zu. Wenn er
ihren nackten Rücken streichelt und sie zärtlich seine Locken
liebkost, fragt man sich schon, ob das Anna Netrebkos Verlobten
ganz kalt lässt. Aber der steht ja hinter der Bühne. Freilich
lässt es sich Erwin Schrott nicht nehmen, vor dem Terzett aus "I
lombardi" dem verwundeten Kollegen ein Papiertaschentuch an die
Lippe zu halten und das blutvolle Tuch dem Publikum zu zeigen.
Womöglich war es doch nur dick aufgetragener Lippenstift?
Alle drei Sänger geben an diesem
Abend ihr Bestes, und das ist grandios viel. Sie harmonieren
nicht einfach miteinander. Sie sind drei ausgeprägt
unterschiedliche Sängertypen. Beim "Gipfeltreffen der
Klassikstars" spornen sie einander zu Höchstleistungen an.
Fernsehübertragung
in 20 Länder und Vermarktung auf DVD
Sie
wissen, dass sie es nach den Abenden in München und Wien nicht
nur mit der Berliner Waldbühne zu tun haben, sondern auch mit
der Fernsehübertragung in 20 Länder und der anschließenden
Vermarktung auf DVD. Das ist selbst für die amtierende
Opernzarin nicht alltäglich. Vor fünf Jahren hat sie so einen
Operngipfel an derselben Stelle mit demselben Breitbandmarketing
schon einmal mit Plácido Domingo und Rolando Villazón erlebt.
100 Millionen Menschen haben das Konzert damals live oder als
Aufzeichnung genossen. Die Aufnahme zählte zu den
meistverkauften Klassik-DVDs. Die Veranstalter der Deag hoffen
nun auf einen Wiederholungserfolg, und tatsächlich spricht alles
dafür.
Anna Netrebko kleidet sich der Tageszeit
entsprechend: erst in Sonnengelb, nach Einbruch der Dunkelheit
dann in Nachtblau mit Sternengeglitzer. Sie ist eine
mediensichere, stadienerprobte Weltbürgerin, die von allen
bedeutenden Opernhäusern umworben wird. Vor allem aber ist die
russische Sopranistin eine singende Naturgewalt. Einfach
eindrucksvoll, wie sie das Leiden der Madame Butterfly auf
kleiner Flamme schürt und immer weiter bis zum lauthals
herausbrechenden, lodernden Flammenmeer anwachsen lässt.
Sie setzt brillante Höhepunkte und Spannungsbögen, die den Namen
wirklich verdienen. Ihre Stimme hat volle, dunkle, dramatische
Qualitäten hinzugewonnen, aber sie beherrscht nach wie vor auch
die Kunst der leisen Töne. Als Leonora im vierten
„Trovatore“-Akt wird sie nur ganz dezent begleitet. Wunderbar
innig gestaltet sie diese nuancenreiche Szene mit ihrer
kammermusikalischen Intensität. Sie singt einfach lupenrein, und
ihre Töne sind wie Perlen, keiner gleicht dem anderen.
Wer mitsummt, wird sofort niedergezischt
Gute Laune herrscht auf der Bühne und im Publikum. Wer
mitsummt, wird trotzdem sofort niedergezischt. 18.000
Waldbühnen-Besucher möchten in entspannter Ruhe die drei
Sternstunden genießen. Seit dem Erfolg der „Drei Tenöre“ hat man
sich daran gewöhnt, dass Opernsänger immer gern zu dritt
antreten. Mit Marco Armiliato steht ein Dirigent vor der Prager
Philharmonie, mit dem die Sänger schon oft bei wichtigen
Anlässen zusammengearbeitet haben. Der Italiener hat Anna
Netrebkos Berlin-Debüt und die erste Vorstellung von Jonas
Kaufmann an der New Yorker Met geleitet. Er hält die Opernfäden
solide zusammen. Aus dem trüben, nieseligen Sommer haben sie
sich einen der angenehmsten Abende herausgepickt. Jonas Kaufmann
würde Petrus gern ein Bier ausgeben, wenn er nur wüsste, welche
Sorte er trinkt.
Der Münchner Tenor bekommt nicht
weniger Applaus als seine Bühnenpartnerin. Mit Fliege und
wohlfrisierten Locken wirkt er wie der Traditionalist im
Dreierbunde. Der Münchener gilt als bodenständiger Star, bei dem
einfach alles stimmt: von der herrlich facettenreichen Stimme
über das glänzende Aussehen bis zum ausgeglichenen Privatleben.
In der Waldbühne geht er ganz aus sich heraus, bietet mit seiner
Riesenstimme die Momente der herrlichsten Durchschlagkraft.
Allein der verzweifelte „Mamma“-Ruf am Ende der
„Cavalleria rusticana“-Arie ist eigentlich mehr als ein
Ausrufezeichen wert! Mit derselben Inbrunst und Ernsthaftigkeit
taucht er in die Operettenwelt von Tauber und Lehár ein.
„Freunde, das Leben ist lebenswert“, singt er und greift sich
dabei an die wohl noch immer schmerzende Lippe. Der Opernabend
steckt voller Schmerz, Leidenschaft, Hingabe.
Netrebko und Schrott verdächtig oft zusammen aufgetreten
Erwin Schrott muss sich damit abfinden, dass sich seine
Verlobte mit Tenören amüsiert, weil die Komponisten das so
wollten. Anna Netrebko und Rolando Villazón galten Jahre lang
als „Traumpaar der Oper“. Die Rolle des Traumprinzen ist jetzt
frei, aber Erwin Schrott kann sie als Bassbariton kaum
übernehmen. Angeblich will er auch gar nicht ständig mit seiner
Anna zusammen singen und ist auch gar nicht eifersüchtig auf die
Kollegen mit den hellen Stimmen. Aber man kennt doch die
Lateinamerikaner.
In diesem Jahr sind Netrebko und
Schrott jedenfalls verdächtig oft zusammen aufgetreten. In der
Waldbühne konnte er wieder zeigen, dass mehr in ihm steckt als
ein Prinzgemahl. Seine Karriere war schon auf Erfolgskurs, bevor
er sich mit der berühmten Soprandiva verlobte. Mit Samtjackett
und modisch frisiertem, blondiertem Harr begeistert er mit
seiner lebhaften Bühnenpräsenz. Als Leporello, in einer seiner
Paraderollen, singt er sich verführerisch in die Herzen des
Publikums, während er den Modekatalog nach hübschen Frauen
durchblättert. Seine fulminante Stimme wird wie alles an diesem
Abend technisch erstklassig abgenommen. Sein lebhaftes
Minenspiel ist auf zwei Leinwänden zu sehen.
Die Bühne
ist äußerst telegen hergerichtet: mit weinrotem Boden,
Kronleuchter aus Lichterketten, Hintergrundprojektionen und
weißen Dekoelementen. Der Abend ist beeindruckend durchgestylt.
Eine ferngesteuerte Kamera saust über die Zuschauerköpfe hinweg.
Mit sinnlicher, sonorer Stimme und viel Herzblut präsentiert
Erwin Schrott den Tango in seiner kompakten
Drei-Minuten-Dramatik. Erstmals singt er „Porgy and Bess“ mit
Anna Netrebko. Jazz ist nicht ganz das Metier der Beiden, aber
so können sie doch zeigen, dass sie auch gern auf der Bühne
kuscheln und küssen. Vor den drei Zugaben und dem endlosen Jubel
singen die Drei seltsamerweise aus einem Notenheft das
„Faust“-Terzett aus dem fünften Akt, bei dem Anna Netrebko kurz
danebenliegt. Sei’s drum. Ein so perfekter Abend braucht kleine
Schönheitsflecke.
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