Südwest Presse,  30. Juni 2010
JÜRGEN KANOLD
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni 2010
Auf Zimmertemperatur
 
München. Alles, was gut und teuer ist, hatte die Bayerische Staatsoper für diese Festspielpremiere aufgeboten. Doch diese "Tosca" erhielt nur müden Applaus. Ausnahme: Jonas Kaufmann holte sich Ovationen ab.
"In New York hat Ihre Inszenierung die erste Premiere überleb . . . , äh, erlebt." Der Versprecher war der Rundfunkreporterin leicht zu verzeihen in ihrem Gespräch mit Luc Bondy im Foyer des Münchner Nationaltheaters, hatte doch im vorigen Jahr das Publikum der Metropolitan Opera diese "Tosca" heftig ausgebuht. Oder wie Regisseur Bondy sagt: "Es fehlten nur noch die Gewehre, sonst hätte man mich erschossen." Von den konservativen Amerikanern wegen einer so biederen Aufführung?

"Man ist erstaunt", kommentierte der 61-jährige Schweizer die Reaktionen an der Met. Was hatte er getan? Am Ende des 2. Aktes sitzt Tosca bei ihm mit einem Fächer auf dem Sofa - im Libretto der Puccini-Oper aber nimmt sie zwei Kerzen vom Tisch, entzündet sie, stellt sie neben dem Kopf des erstochenen Polizeichefs Scarpia auf und legt ein Kruzifix auf dessen Brust. So hat es Franco Zeffirelli inszeniert, der Gott der realistischen Ausstattungsoper, dessen "Tosca" an der Met jahrzehntelang auf dem Spielplan stand.

Aber Bondy . . . hat eigentlich auch nicht viel anderes gemacht, als diesen an zwei Junitagen des Jahres 1800 in Rom spielenden Krimi praktisch eins zu eins auf die Bühne zu bringen. Nur eben ohne Kerzen, was an der Met ein Sakrileg zu sein scheint. Gut, Bondy zeigt den Scarpia auch nicht als eleganten Schurken, sondern als Schwein, der sich erst die Nutten in den Palast kommen lässt, eher er sich geil an Tosca heranmacht. Aber sonst?

Auf diesem Niveau also muss über diese luxuriös besetzte und teure "Tosca"-Premiere der Bayerischen Staatsoper gesprochen werden, eine Koproduktion der ganz Großen, auch die Mailänder Scala übernimmt diese Inszenierung im zeitlos napoleonischen Dekor (Richard Peduzzi), die in den nächsten 30 Jahren gewiss keine kurzfristig anreisenden Gast-Sänger vor Probleme stellen wird, weil die Regie nicht viel von ihnen fordert. Zuweilen erinnert die düster ausgeleuchtete Szenerie an den "Tosca"-TV-Sketch des Altmeisters Otto Schenk, der den Opernbetrieb auf die Schippe nahm, nur dass in München die Tosca beim finalen Sprung von der Engelsburg nicht dank eines Trampolins zurückkatapultiert wird. Im Nationaltheater geht vorher das Licht aus. Müder Applaus.

Jonas Kaufmann aber, der Superstar, erhielt Ovationen. Sehr verdient. Als Cavaradossi ist er nicht nur tragischer Held mit Wunschkonzert-Stimme, sondern ein Charakter mit immensen lyrischen Qualitäten. Trotzdem: Mit "Recondita armonia" trat er zunächst wie ein Fremdkörper an. Zu großes Format eines Sängers, zu viel leidenschaftliches Feuer in einer Aufführung, die höchstens auf Zimmertemperatur angewärmt ist. Auch Fabio Luisi gab am Dirigentenpult des Bayerischen Staatsorchesters vielleicht in den ersten Takten der "Tosca" richtig Gas und griff auch später immer wieder laut und drastisch und plakativ zu. Er kühlte dann aber den Puccini wieder runter. Gefällig, glattgebügelt schön oder lau: sehr unausgegoren. Niemals fiebernd dramatisch. Also fiel Jonas Kaufmann heraus, besser gesagt: Er sang herausragend mit einem erstaunlich dunkel getönten Tenor, mit italienischen Schluchzausbrüchen und gestalterischer Kraft. Beeindruckend, wie er in "E lucevan le stelle", der Lebensreflexion des Cavaradossi im Sternenhimmel vor der Hinrichtung, erst piano der Solo-Klarinette das Wort überließ, dann diese geschlagene Seele des Helden zu leidenschaftlichem Ausbruch führt. Cavaradossi hat das Leben in dieser Todesstunde "niemals so sehr geliebt". Man glaubt es sofort.

Eher enttäuschend dagegen Karita Mattila. Diese Floria Tosca ist ja in dieser Puccini-Oper eine eifersüchtige, nach Beifall heischende Primadonna - und nichts anderes stellte die Sopranistin dar: primadonnenhaft, mit theatralischen Ausbrüchen, veristischem Geschrei, durchaus packend, aber nicht mit glanzvoller Stimme. Und Juha Uusitalo als Scarpia: angemessen böse bis widerlich auftretend, aber nicht mit dämonischer, Furcht erregender Stimme, sondern eher matt.

Die Münchner buhten dann Luc Bondy nicht aus wie die New Yorker (nur einzelne Rufe waren zu vernehmen), aber der Applaus war sehr enden wollend. Das Publikum achtete diesmal nicht aufs Dekor, sondern wollte einfach mehr Drama. Eine verständliche Reaktion.






 
 
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