Deutschlandradio Kultur,  29.06.2010
Von Christoph Schmitz
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni 2010
Lärmbrecher in München
 
Fabio Luisi und Luc Bondy mit Puccinis "Tosca"
auch als Audio
Luc Bondy inszeniert Puccinis "Tosca" kirchenkritisch - in Anbetracht der Misere der Kirchen heutzutage ein passender Ansatz. Doch gesellen sich in München zugleich Zweifel an der szenischen und musikalischen Qualität des Dargebotenen.

In der neuen Münchener "Tosca" unter Luc Bondy und Fabio Luisi gibt es einen einzigen beeindruckenden Moment: Der Klerus nähert sich in schwerem Pomp durchs dunkle Kirchenschiff, der zitternde uralte Bischof ertrinkt fast in seinem panzerartigen Stickornat, die lateinischen Gesänge klingen nach Unheil, der schwarze Block aus Kirche und weltlicher Macht des alten autoritären Folterregimes unter dem königlichen Polizeichef Roms, Scarpia, wirft sich im Getöse des Orchesters vor einer Madonnenfigur auf die Knie. Goya-düster sind die historische Szenerie und die Architektur aus Backsteinromanik und die prachtvollen Kostüme für die Bischöfe, Prälaten, Messner, Nonnen und Damen von Adel müssen ein Vermögen gekostet haben. Aber die koproduzierenden Opernhäuser von New York, Mailand und München haben es ja.

Mit solch einer Kirche kann man nichts zu tun haben wollen. Beruhigend also, dass diese Zeiten 200 Jahre zurückliegen, weswegen Bondys Inszenierung kirchenkritisch betrachtet, offene Türen einrennt. Zum furchteinflößenden Getöse gesellen sich aber zugleich Zweifel an der szenischen und musikalischen Qualität. Es sind zuerst einmal Schwächen in vielen Details, die sich aber summieren. Die Ministranten schwenken ihre Weihrauchfässer so unbeholfen, als hielten sie sie bei der Premiere zum ersten Mal in den Händen. Später wird es das wallende Empirekleid der Tosca sein, an dem die Sängerin ständig unbeholfen herumzupft, weil es sie bei jeder Bewegung stört. Auch die Prostituierten im Palast, die Scarpia wie Freundinnen behandelt, wissen nicht, wie sie sich bewegen sollen, als hätten sie noch nie geprobt. Darüber hinaus widerspricht dieser Regieeinfall der Psychologie des Gewalttäters, der ausführlich von seiner gesteigerten Lust durch Gewalt erzählt und ja gerade aus diesem Motiv heraus, dem politischen Gefangenen Cavaradossi die Geliebte, Tosca, auf brutalste Weise ausspannen will. Auch dass Scarpia in der Kirchenszene lüstern die Madonnenfigur umarmt, ist optischer Schnickschnack. An Personenführung mangelt es grundsätzlich. Was auf der Bühne abgespult wird, ist standardisierte Operngestikulation. Auch eine fehlende Sensibilität gegenüber der Musik muss sich Luc Bondy vorwerfen lassen, etwa wenn er zum Klangzauber der Morgendämmerung über Rom vor der Hinrichtung Cavaradossis eine Erschießungspantomime aufführen lässt. Selbst eine historisierende Ausstattungsoper will gut gemacht sein, aber davon ist die Münchener "Tosca" weit entfernt.

Fabio Luisi am Pult kann bei der Premiere den kostspieligen szenischen Reinfall musikalisch nicht ausgleichen. Im Gegenteil. Er lässt das Bayerische Staatsorchester dauernd viel zu laut spielen. Rücksichtslos dirigiert er über die Bedürfnisse der Sänger hinweg, die mit letzter Kraft versuchen, in den Klangbrechern nicht unterzugehen. Luisi will mit Opulenz Eindruck schinden und dies auf Kosten der Farbigkeit und Luftigkeit der Partitur. Sogar bei den lyrischen Klänge von Toscas Verzweiflung, nachdem ihr Geliebter unter ihren Augen gefoltert wurde und sie das Versteck des flüchtigen Volkstribunen Angelotti verraten hat, wenn Tosca sich also von Gott und der Welt verlassen fühlt, nicht einmal in diesem Augenblick will Luisi leise genug werden und verhindert die dynamische Feinjustierung der finnischen Sängerin Karita Mattila.

Jonas Kaufmann als Cavaradossi schlägt sich tapfer im Orkan. Einzig der Finne Juha Uusitalo kann sich als Scarpia mit seinem Bass einigermaßen behaupten. Aber eine Oper soll ja kein sportliches Kräftemessen sein.

Sonst hätte man sich auch das WM-Achtelfinalspiel zwischen Brasilien und Chile ansehen und vom Vuvuzelasturm beschallen lassen können.






 
 
  www.jkaufmann.info back top