Frankfurter Rundschau, 13.10.2010
Stefan Schickhaus
Schubert: "Die schöne Müllerin, Frankfurt, Alte Oper, 12. Oktober 2010
Romantische Oper für einen Mann
 
Auf sängerisch höchstem Niveau: Jonas Kaufmanns „Schöne Müllerin“ in Frankfurt geizt nich mit Farbwechseln und Untertönen. Er geht in Sachen Textdarstellung einen geradezu opernhaften Weg.

Wer hätte gedacht, dass man einmal würde schreiben können, der Große Saal der Alten Oper Frankfurt sei genau richtig dimensioniert gewesen für einen Liederabend. 2000 Zuhörer in der Herbsthusten-Zeit, darunter etliche, die nach dem letzten Lied keinen Sinn für ein Aus- und Nachklingen haben – die Grundbedingungen sprechen eigentlich gegen so etwas Intimes wie das Schubert-Lied an diesem Ort.

Doch wenn Jonas Kaufmann, der Mann mit der größten Magnetwirkung unter den deutschen Tenören derzeit, Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ singt, wäre jeder Kammermusiksaal zu unmittelbar – einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass das für den Veranstalter ein finanzielles Desaster werden müsste.

Jonas Kaufmann braucht die große Bühne. Nicht unbedingt seine Stimme benötigt den Raum, die kann er nach Bedarf durchaus zurückfahren – eine Stimme übrigens, die viele dunkle, baritonale Komponenten hat und die damit jedes Schubert-Lied angenehm tragfähig macht. Nein, es braucht einfach eine gewisse Distanz zwischen dem Sänger und dem Hörer, damit sich das Zuviel verliert.

Denn Jonas Kaufmann geht in Sachen Textdarstellung einen geradezu opernhaft extremen Weg. Da wird jede indirekte Rede, und sei es auch nur die des Baches am Schluss, betont abgehoben, da wird im ersten Lied die „Frau Meisterin“ mit einem dicken Augenzwinkern angesprochen, da wird mit Farbwechseln und Untertönen gar nicht gegeizt. Aus Franz Schuberts „Schöner Müllerin“ wird in Frankfurt eine kleine romantische Ein-Mann-Oper, „Ungeduld“ heißt die Arie, „Morgengruß“ bekommt das Format einer großen dramatischen Szene – und all das auf sängerisch höchstem Niveau.

Jonas Kaufmann übernimmt dabei selbst die Rolle des Müllersburschen. Es spricht ein eindeutiges „Ich“ aus ihm, der Interpret abstrahiert nicht, sondern er erlebt, maßlos und immer mittendrin. Und darum war es gut, wie gesagt, dass der große Raum für einen gewissen Hörabstand sorgte, jetzt in der Alten Oper. Was in der Mitte des Saals ankam, war noch reichlich genug.

Den Pianisten Helmut Deutsch dagegen hätte man gerne ein bisschen näher an sich herangelassen, ist er doch einer der klarsichtigsten Klavierbegleiter seit Jahrzehnten. Er verzichtet auf das Verdoppeln des Textes, sichert dagegen die Substanz. Das Modulieren in „Am Feierabend“ kam noch nie so organisch, die Oberstimme in der dritten Strophe von „Des Müllers Blumen“ leuchtete bisher bei niemandem sonst so visionär heraus.






 
 
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