Braunschweiger Zeitung,  27. Juli 2010
Andreas Berger
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
Der Menschheitstraum im Rattenstall
 
Hans Neuenfels inszenierte zum Auftakt der Bayreuther Wagner-Festspiele den "Lohengrin"
Mittags gab's die offizielle Kinderoper, aber nachmittags im Festspielhaus fühlte man sich auch wie im Disneyland: Regie-Altmeister Hans Neuenfels ließ die Chöre in seiner Neuinszenierung des "Lohengrin" als possierliche Rattenschar auftreten, durchaus nicht furchteinflößend oder hässlich, sondern mit ihren dicken, wackelnden Körpern, den langen Händen, Füßen und Schwänzen eher lustig anzusehen.

Unter den durchsichtigen Kopfmasken waren die Menschen zu erkennen. Und ihre trippelnden Bewegungen sorgten für manch komischen Effekt, etwa wenn sich die kleinen rosa Ratten beim Hochzeitszeremoniell verliefen oder zwei von fiesen Pflegern mit der Spritze misshandelte Laborratten zum Gegenangriff übergingen. Fragt sich nur, ob Wagners Oper und seine aufwendige Festspiel-Idee der richtige Anlass für solche Späßchen sind.

Flach gedacht, Kinderei ohne Biss

Generationen von Regisseuren haben sich gerade bemüht, die märchenhafte Geschichte vom Schwanenritter, der als Verkörperung der Sehnsüchte nach Frieden, Heil und Liebe in die Welt kommt, zu übersetzen in die Psychologie politischer oder erotischer Erlösung unserer Gegenwart. Das Scheitern der Utopie als Auftrag zur weiteren Ideenbildung inbegriffen.

Neuenfels rücküberträgt nun den Mythos wieder ins Märchen, wenn auch nicht in den von Wagner beschriebenen Bildern. Für ein heutiges Publikum wird er dadurch nicht zugänglicher, ja die albernen Rattenspielchen konterkarieren die Lust auf intellektuelle Reflektion.

Dabei hätte Reinhard von der Thannens kühler, gleißend weißer Laborraum auch als ernste Spielfläche für eine eher kafkaeske Auffassung des ewig erstrebten und nie erreichten Gnadenglücks getaugt. Und wenn die Ratten manchmal ihre Kostüme an den Haken hängen, in schwarzen oder gelben Fräcken, aber mit den langen Fingern aufmarschieren, kommt ein skurril-spießbürgerlicher Zug rein.

Lohengrin erscheint in Gestalt des männlich schönen Jonas Kaufmann in diesem Rattenstall wie ein Menschheitstraum. Prompt schlüpfen die Choristen im dritten Akt in Uniformen mit Schwanenlogo, die Massenratte ist vor allem immer eines: Fan. Elsa aber, erst verfolgte Unschuld mit Pfeilen am Kleid wie der heilige Sebastian, lebt einen Prinzessinnentraum im Schwanenfederkleid à la Disneys Cinderella.

Aus solchem Film scheint auch das Kutschunglück der bösen Stiefschwester Ortrud zu stammen, von Ratten überfallen. Lohengrins Schwan baumelt dann aber auch wie ein abgenagtes Hähnchen vom Grals-Himmel, aus der Traum schon zur ersten Pause.

Elsa will natürlich trotz Frageverbot wieder alles wissen über den schönen Mann. Die Hochzeitsnacht platzt. Erst als er schon wieder abziehen will, fallen sie nochmal, nun tatsächlich bedingungslos in Liebe entbrannt, vor allen Leuten übereinander her. Aus dem Schwanenei schlüpft ein Homunculus, alles stürzt wie tot nieder. Aber irgendwie wird es schon weitergehen mit den Genen im Labor, ob mit oder ohne Fähigkeit zur Utopie, steht dahin.

Einige Bravos und heftige Buhs für die Regie

Das ist ziemlich flach gedacht, ohne politisch-gegenwärtigen Biss, über weite Teile Kinderei und gewiss kein Festspiel wert. Entsprechend dick kam die Buhfront des Publikums für die Regie, aber auch einige Bravos. Dirigent Andris Nelsons wurde freundlich beklatscht für sein sanft-weiches Dirigat, das nach zögerndem Vorspiel auf schönen Klang bedacht war und harsche Momente wie im Disput Ortruds oder dem martialischen Vorspiel zum dritten Akt ziemlich einebnete. Das klang gar zu romantisch mild.

Die Rattenchöre entfalteten sich prachtvoll. Jonas Kaufmann zeigte als Lohengrin kraftvoll strahlende Höhen, aber auch ein merkwürdig mulmig klingendes Piano. Annette Dasch sang die Elsa wunderschön zart, aber eben auch sehr zart, wo sie gegen Ortrud stärker Position beziehen müsste. Die gab Evelyn Herlitzius mit flackerndem Ton als Hochdramatische, während Hans-Joachim Ketelsen in erfahrener Klangrede den Telramund charakterisierte. Langer Applaus für Kaufmann und Co.
 






 
 
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