Opernglas, Februar 2010
J.-M. Wienecke
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Fidelio
 
Über viele Jahre war Beethovens einzige Oper in legendärer Besetzung ein Münchner Festspielhit unter Karl Böhm gewesen. Und ganz selbstverständlich hatte auch Zubin Mehta das Chefstück bei der letzten Inszenierung durch Peter Mussbach für sich reklamiert. Gegen den Widerstand der Regie hatte Mehta bei späteren Reprisen nach gängiger Tradition vor der Finalszene die dritte Leonoren-Ouvertüre wieder eingefügt. Daniele Gatti, den die Staatsoper für die aktuelle Premiere an Stelle des amtierenden Generalmusikdirektors Kent Nagano ins Rennen schickte, stellte das populäre Zugstück gleich unmittelbar an den Beginn des Abends und erzielte dennoch nicht den erwünschten Effekt. Zu keiner Zeit sprang der zündende Funke über. Die aufwühlende Musik zerbröselte geradezu unter seinen Händen, ließ weder eine klare dramaturgische Linie noch mediterranes Feuer erkennen. Selbst das mitreißend bewegende Crescendo der alternativen Ouvertüre blieb seltsam uninspiriert und wurde bei offenem Vorhang von der Regie zudem gnadenlos verlärmt. Der Umstand einer gewissen Beliebigkeit blieb Gattis Dirigat leider über die gesamte Wegstrecke erhalten, wobei ihm der permanente Wechsel zwischen Singspiel und dramatisch tiefer schürfenden Passagen im ersten Aufzug hörbar am wenigsten lag. Das Bayerische Staatsorchester war unter diesen Bedingungen von einer Sternstunde ebenfalls weit entfernt, spielte seltsam unmotiviert und bisweilen unpräzise. Auch stilistisch fehlte Gattis Interpretation jede Orientierung. Trotz seines extrovertierten, hinsichtlich der begleitenden Geräuschkulisse grenzwertigen Volleinsatzes kamen im hymnischen Schlusschor (Einstudierung: Sören Eckhof) evidente Koordinationsprobleme erschwerend hinzu. Als dramaturgisch unsinniger Spannungskiller erwies sich der ihm unmittelbar vorangestellte Auszug aus Beethovens Streichquartett in a-moll. Der Unmut über das in weiten Teilen enttäuschende Dirigat blieb erwartungsgemäß nicht aus.

Dabei hätte die attraktive Besetzung durchaus einen großen Abend erwarten lassen: Anja Kampe gestaltete die heikle Partie der Leonore gemäß ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Diese sind nach oben und unten leider begrenzt. Entsprechend betonte sie die gut ansprechende Mittellage, presste die Höhen zuweilen mit viel Druck, sang aber stets mit einem Höchstmaß an Emotion und gestaltete ihren Part in der Summe mitreißend intensiv.

Der aktuelle Medien-Darling Jonas Kaufmann erhielt für seinen soliden Florestan zwar begeisterte, aber nicht überschäumende Anerkennung. Möglicherweise war sein Tenor am Premierenabend nicht optimal disponiert. Zeichnete sich eventuell bereits eine Verkühlung ab, die ihn zum Jahreswechsel schließlich zu Absagen zwang? Die große Kerkerarie gelang zum Auftakt weitgehend überzeugend. Auch das geheimnisvoll wie aus dem Nichts anschwellende „Gott" muss ihm in dieser Form erst einmal jemand nachsingen und schließlich brillierte er im „himmlischen Reich" scheinbar mühelos mit blendend fokussierten Spitzentönen, wie man sie von ihm erwartet. Im Passaggio blieben dagegen Wünsche offen. Oft verfärbte sich das markant baritonale Timbre des Münchners auf eigenartige und befremdliche Weise, bevor es die erlösende Strahlkraft zu entfalten vermochte.

Franz-Josef Selig mimte einen geschäftigen, in Sachen seiner Tochter allerdings erfolglosen Ehekuppler Rocco mit sattem, gut ansprechendem Spielbass. Freude machte der erfrischend unverbrauchte Jacquino von Jussi Myllys, während Laura Tatulescus Sopran für die Marzelline ein wenig zu unflexibel klang. Über Mangel an stimmlicher Potenz und Lust an hinterhältiger Barbarei konnte man sich bei Wolfgang Kochs Pizarro nicht beklagen. Fieser lässt sich die Rolle kaum verkörpern. Mit elegantem Bariton gab Steven Humes dem Don Fernando in der hier intendierten selbstverliebten PolitikerKarikatur zumindest musikalisch Gewicht.

Calixto Bieito, mit dessen Erstengagement an der Bayerischen Staatsoper wohl jeder einen handfesten Opernskandal einkalkuliert hatte, erwies sich entgegen allen Befürchtungen oder Erwartungen als „lahme Ente" ohne Biss. Dass sich der berühmt-berüchtigte Regie-Berserker überdies hoffnungslos im Labyrinth einer unsäglich aufwändigen Stahl-Plexiglas-Konstruktion (Rebecca Ringst) verfing, war fast tragisch. Derart verbaut, blieb auf der riesigen Bühne des Nationaltheaters oft nur die Rampe für ein belangloses, auf wenige spektakuläre „Nummern" fixiertes Spiel übrig. So sehr das Fehlen einer aktuellen politischen Verortung zu begrüßen war, mangelte es der Regie an bekennender Stellungnahme. Die visionäre Botschaft des Opus über Freiheit und Gattenliebe lief völlig ins Leere. An ihre Stelle tra-ten Momentaufnahmen aus den schicksalhaften Biografien traumatisierter Gefangener-zu wenig für eine gültige Interpretation dieses Schlüsselwerks, die sich den traditionellen Zwischentexten verweigerte und an ihre Stelle monologisierende Langeweile setzte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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