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Christian Gohlke
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Trostlos
 
 
Der Skandal, den Reinhard J. Brembeck am Tag der Premiere von Ludwig van Beethovens 'Fidelio' an der Bayerischen Staatsoper in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung lustvoll prophezeit hat, ist ausgeblieben. Am Ende der Vorstellung ein paar Buh-, ein paar Bravorufe wie meistens bei Premieren, mehr nicht. Keine große Aufregung. Eher große Ermüdung. Calixto Bieito, der "katalanische Skandalregisseur", wie ihn die Presse gerne nennt, hat einen faden und flachen 'Fidelio' geliefert. Der Abend ist ohne Spannung und Atmosphäre. Das Regie-Konzept wirkt eindimensional und abgestanden.

Gezeigt wird ein aufgestelltes Labyrinth aus Stahl und Plexiglas (Bühne: Rebecca Ringst), dessen Gänge und Zellen von Leuten in grauen Kaufhaus-Anzügen (Kostüme: Ingo Krügler) bevölkert werden. Ausweg gibt es keinen. Das ist klar, noch bevor die ersten Töne der Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 erklingen, die in München den Abend musikalisch eröffnet und nicht, wie sonst üblich, den Übergang von der Bühnenhandlung zu ihrer Apotheose markierend, vor dem Finale des zweiten Aktes gespielt wird. Bieito dementiert den positiven Verlauf der Oper, den dieses Vorspiel antizipiert, gleich zweifach: Zum einen durch den einleitend von Leonore gesprochenen Text aus Luis Borges "Labyrinth" ("Es wird nie eine Tür geben. Du bist im Innern, das Kastell umschließt den Kosmos, und es hat weder Rück- noch Vorderseite…"), zum anderen, weil Florestan sich immer hektischer im Labyrinth bewegt und schließlich gar panisch wird, wenn der Allegro-Teil der Ouvertüre den glücklichen Ausgang der Handlung symphonisch vorwegnimmt. Spätestens dann ist klar: Ein gutes Ende wird es nicht geben.

Calixto Bieitos Labyrinth ist ein Ort, in dem die Figuren der Oper allesamt physisch wie psychisch gefangen sind. Dazu bedarf es keines tyrannischen Herrschers: "Das eigene Gehirn kann zum Gefängnis werden", sagt Bieito, der davon ausgeht, dass sich die Handelnden alle in eine fixe Idee verrannt hätten, eben Gefangene ihrer Gefühle und Gedanken seien. Echte Begegnungen kann es darum nicht geben, tiefes Verständnis für ein Gegenüber ist unmöglich. Doch diese Interpretation der Oper beschreibt leider auch das Verhältnis des Regisseurs zu ihr: Auch Calixto Bieito ist ein Gefangener. Auch er hat sich verrannt in eine fixe Idee, deren Schlüssigkeit nur um den Preis tiefgreifender Eingriffe in Beethovens Oper zu haben ist.

Um zu zeigen, wie unentrinnbar gefangen alle Figuren sind und wie zweifelhaft das glückliche Ende auch aus diesem Grund ist, ändert Bieito Beethovens Oper in zwei entscheidenden Punkten: Die Vereinzelung und Isoliertheit der Handelnden wird erreicht, indem die gesprochenen Dialoge des Librettos gestrichen und durch Monologe ersetzt werden, die aus Werken von Jorge Luis Borges ("Labyrinth") und Cormac McCarthy entlehnt sind. Zwar taugen diese Passagen als Reflexion der Figuren, denen sie in den Mund gelegt werden, erstaunlich gut, aber sie stiften keinen Handlungs- und Sinnzusammenhang. So reiht sich Musiknummer an Musiknummer, so steht eine Figur beziehungslos neben der anderen. Natürlich wirkt dann der hysterische Jubel des ohrenbetäubend lauten Chores (Einstudierung: Sören Eckhoff) besonders aufgesetzt und unglaubhaft. Um auch den letzten Zweifel an der Fragwürdigkeit des finalen Glücks auszuräumen, wird der Gegenspieler Pizarros (arg schablonenhaft und nicht immer sicher in der Intonation: Wolfgang Koch) ohne viel Federlesens einfach umgedeutet: Don Fernando (solide: Steven Humes) kommt, geschminkt wie der Batman-Gegner Joker, aus der Proszeniumsloge und erschießt Florestan, nachdem er Leonore das Vorrecht zuerkannt hat, ihrem Gemahl die Ketten zu lösen. Der Getroffene stürzt zu Boden, überlebt aber zur Verwunderung des Schützen und kann mit seinem "holden Weib" den Jubelgesang auf die Gattenliebe anstimmen, nachdem beide im Duett Nr. 15 ihre "namenlose Freude" stimmlich zwar emphatisch, szenisch aber höchst beiläufig bekundet haben. Die beiden nehmen einander kaum wahr; sie sind ganz damit beschäftigt, sich umzukleiden. Fidelio befreit sich von der "Busenquetsche", schlüpft in ein blaues Abendkleid und wird wieder zu Leonore, Florestan wählt einen dunklen Dreiteiler mit Krawatte, die sie ihm bindet. "O himmlisches Entzücken." So rasch lassen sich freilich die Spuren der Vergangenheit nicht tilgen: Florestan behält auch nach der Rettung autistische Züge und kämmt sich fortwährend das Haar.

Jonas Kaufmann ist in dieser Rolle darstellerisch wie stimmlich überzeugend, auch wenn seine Idee, den Einsatz zur großen Arie 'Gott, welch dunkel hier' (Nr. 11) im Piano zu gestalten und dann zum Forte anschwellen zu lassen, mehr wie die Demonstration technischen Könnens wirkt (das überdies nicht ganz bruchlos gelingt) und weniger wie der glaubhafte Ausdruck eines zutiefst Verzweifelten. Mit beeindruckender Präsenz und tenoraler Strahlkraft singt Kaufmann dann aber seine Vision von Leonore, die ihn "zur Freiheit ins himmlischen Reich" führen möge. Anja Kampe überzeugt ebenfalls in der Rolle der Leonore, wenn es ihr wohl auch in der Höhe ein wenig an Geschmeidigkeit mangelt und ihr kraftvoller Sopran mitunter zu großem Vibrato neigt. Dass ihr großer Auftritt 'Abscheulicher! Wo eilst du hin?' (Nr. 9) die nötige Emphase vermissen ließ, lag nicht an ihr, sondern an Daniele Gattis nichtssagender Begleitung. 'Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern / Der Müden nicht erbleichen' klingt bei ihm wie ein süßes Schlummerlied mit schöner Hornbegleitung, an das sich ein flotter Kehraus ('Ich folg der Pflicht') anschließt.

Die Arie verliert unter Gatti völlig ihre musikdramatische Logik. Dass der Allegro-Teil zwingend aus dem Adagio hervorgeht, weil Leonores Besinnung auf die Hoffnung in die Bereitschaft zu handeln umschlägt, ist nicht einmal ahnbar. Die scharfen Akzente, die Gatti einsetzt, wirken wie bloße Effekte und können den emotionalen Gehalt dieser Musik nicht transportieren. Dass mit Franz-Josef Selig (Rocco), Laura Tatulescu (Marzelline) und Jussi Myllys (Jaquino) die kleineren Rollen alle gut besetzt waren, konnte über Gattis schwache Leistung genauso wenig hinwegtrösten wie der "Heilige Dankchoral eines Genesenden an die Gottheit" aus Beethovens Streichquartett op. 132, der anstelle der Leonoren-Ouvertüre vor dem Finale von Musikern gespielt wurde, die in Stahlkäfigen vom Bühnenhimmel herabschwebten. Ein anrührender Moment. Retten konnte er den szenisch wie musikalisch langweilig eindimensionalen Abend freilich nicht.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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