Epoch Times, 22.12.2010
Rosemarie Frühauf
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Calixto Bietos verrücktes Labyrinth in der Bayerischen Staatsoper
 
„FIDELIO“ MIT JONAS KAUFMANN
 
„Das Herz wird hart durch Gegenwart bei fürchterlichen Dingen“ singt Kerkermeister Rocco in Beethovens Fidelio. Ein passendes Motto für die Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper: Regisseur Calixto Bieito stellte Sänger, Publikum und Werk in München auf eine harte Probe.

Denn der geheime Hauptdarsteller war das Bühnenbild von Rebecca Ringst, die durchsichtige Labyrinth-Struktur aus Metall und Plexiglas. Es war sowohl vertikal wie horizontal bespielbar. Zu Anfang erlebte man es als eine neun Meter hohe Konstruktion mit mehreren Plattformen, durch die ständig geklettert wurde und das Klappern des Gerüsts war ein omnipräsentes Begleitgeräusch.

Auch lenkten die Glasplatten den Klang ab, sobald im Gestänge gesungen wurde, was je nach Sitzplatz die Akustik beeinträchtigte. (Sobald die Sänger am Boden standen, konnte man sie jedoch gut hören.) Da Fidelio als sinfonisch angelegtes Kammerspiel von den Ensembleszenen lebt, war Teil 1 für Sänger wie Publikum sehr anstrengend. Die musikalischen Spannungsbögen zwischen den Nummern konnten nicht hergestellt werden. Einzig die Arie der Leonore sowie der Gefangenenchor (sensationell atmosphärisch) ragten heraus. Der Applaus regte sich nur sehr matt.

Zu Beginn des zweiten Teils wurde Dirigent Daniele Gatti dann mit einem Buh-Chor begrüßt, denn ein Orchester, das nur die Töne korrekt gespielt hatte, reichte dem Publikum nicht. Man wollte Beethovens unsterbliche Partitur blühen hören. Doch bis auf das rasante Finale blieb es beim Mittelmaß und die gleichen Buhs trafen Gatti nochmal beim Schlussapplaus.

Dominante Spezial-Effekte

Statt Florestans Arie folgte eine Generalpause, in der das portalfüllende Gerüst auf spektakuläre Weise von der Vertikalen in die Horizontale gekippt wurde. Zappelnde Artisten flogen von oben herab. (Ein großes Lob an all die sonst unerwähnten Frauen und Männer der Technik, die das möglich machten!) Unmut regte sich nochmals im Publikum: „So ein Zirkus!“ - „Buh!“ -„A Ruah is!“

Und dann kam endlich er: Jonas Kaufmann als Florestan. barfuß, in hellblauem Pyjama. Sein „Gott! Welch Dunkel hier“ begann er als Hilferuf aus dem Nichts seines Pianissimo heraus. Hüstelte und ächzte zwischendurch besorgniserregend, aber das war wohl eine Regieanweisung.Dank seiner Leidenschaft markierte seine Arie einen Höhepunkt des Abends. Er berührte wie so oft durch künstlerische Selbstbeherrschung und seine Fähigkeit buchstäblich alles zu geben: Anstelle des besungenen schweren „Steins“ wurde der Ärmste von Rocco und Leonore an den Füßen über die Bühne geschleift.

In der Mordszene wurde das Hauptproblem der Inszenierung deutlich: Bieito konnte sich nicht zwischen Drama und Persiflage entscheiden: Wolfang Kochs Pizarro (eine stimmgewaltige Idealbesetzung mit Vokuhila) tobte böse und lächerlich. Leonore rettet Florestan, indem sie Pizarro eine Schnapsflasche über den Kopf schlägt und ihn mit Säure aus einem Kanister verätzt.

Von diesem Moment an lief Anja Kampe zur Höchstform der großen Liebenden auf, die sie bis zum Schluss, trotz sonderbarer Aufgaben, halten konnte. Um die Rückkehr zum normalen Leben darzustellen, zieht sich das wiedervereinte Paar während seines anspruchsvollen Duetts einmal komplett bis auf die Unterwäsche aus und um. Oh namenlose Freude. Aus Leonore wird eine Frau im blauen Kleid, die ihrem Florestan liebevoll den Schlips bindet. Respekt für Kaufmann und Kampe, die trotzdem das musikalische Niveau hochhalten konnten.

Der Tod kam aus der Proszeniumsloge

Don Fernando (Steven Humes mit schneidend schwarzem Bass) entstieg als zynisch-clownesker Zombi der Proszeniumsloge. Eine Personifkation des Todes im crèmeweißen Anzug! Er schoss Florestan nieder; um ihn im nächsten Moment zu beglückwünschen und ihm mit Marker ein dickes „FREI!“ auf ein Plastikschild zu schmieren. Also befreit einen nur der Tod aus dem Kopflabyrinth? Zumindest vokal triumphierten die edlen Frauen des Chores: Der Schlußjubel, bot (einstudiert von Sören Eckhoff) das erwartete Feuerwerk und versöhnte die Zuschauer.

Obwohl es nichts zu feiern gab, klatschte sich das Münchner Publikum in Partylaune, weil man nach all dem Bieito- und Kaufmann-Hype im Vorfeld doch unbedingt feiern wollte: Kampe, Kaufmann und der Chor waren die Stars des Abends. Fans und Gegner des Calixto-Teams lieferten sich eine akustische Schlacht. Das famose Odeon-Quartett ging dabei fast unter.

Fazit: Eine Totgeburt für Beethoven als Werk. Aber eine prima Visitenkarte für Bieito als Regisseur von Events wie z.B. den Olympischen Spielen ...
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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