Tagesanzeiger, 14.8.2010
Tom Hellat
Beethoven: Fidelio, Luzern, 12. August 2010
Das nackte Menschenschicksal
 
Freiheit! Liebe! Zum Start des Lucerne Festival gabs Beethovens «Fidelio».
 

Ausgesprochen bemerkenswert war eine Kleinigkeit mit grosser Wirkung: dass nämlich Jonas Kaufmann als Florestan die berüchtigte Kerkerarie «Gott, welch Dunkel hier» ganz leise anfängt - und dann anschwellen lässt. So muss das sein, so leidet man mit. Die Story um die Befreiung Florestans bewegt sich allerdings zuerst im beschaulicheren Rahmen des biedermeierlichen Singspiels. Da sehnen sich Mädchen nach der «Ruhe stiller Häuslichkeit».

Spätestens beim berühmten Quartetts «Mir ist so wunderbar» jedoch wird klar, dass noch ganz andere Hoffnungen im Spiel sind als die auf einen bescheiden vergoldeten Ehestand. Nina Stemme als Fidelio brachte sie mit musikalischer Inbrunst dar und überzeugte auch sonst mit feinsten stimmlichen Nuancierungen. Denn bereits hier lässt Claudio Abbado die Bedrohungen leicht anklingen, unter denen vor allem Fidelio weit über sich hinauswachsen wird.

Das Mahler Chamber Orchestra und das Lucerne Festival Orchestra finden im ersten Akt die ganz feinen Tönungen, um ein fast unmerkliches Zunehmen des tragischen Dunkels darzustellen. Die ersten Bilder des kleinbürgerlichen Friedens streift es noch kaum. Doch dann wächst und wächst es, bis es die ganze Bühne überschattet. Ein langes Crescendo des Entsetzens. Die Musiker entwickeln hier alle dramatische Klangkraft, die es braucht. Die Vielschichtigkeit und die dramatisch-motorische Belebtheit auch scheinbar sekundärer Verläufe frappiert: Die Musik wird gespannt, in sich kontrastreich, sogar widersprüchlich und gefährlich. Richtig gefährlich wirds aber erst im zweiten Akt. Wenn der Bösewicht Pizarro Florestan ermorden will. Falk Struckmann verspritzte als Don Pizarro seinen bösen Geifer und setzte ihn gekonnt ins grelle Licht inhumaner Bösartigkeit.

Und das alles nur in der Musik. Denn Beethovens «Fidelio» wird konzertant und damit praktisch bühnenbildlos gegeben. Zwar hängt eine Weltkugel, die mal hell, mal dunkel aufleuchtet, wie eine zu grosse Sonne am Konzertsaalhimmel. Doch unten auf der Bühne tobt das nackte Menschenschicksal fast ohne Kostüme und Requisiten.

Im klaren Licht des Ehealltags

Wenn Abbado im Finale den grossen Freiheitsjubel anstimmen lässt, wenn er den Arnold Schoenberg Chor, das grosse Orchester und das triumphale C-Dur aufbietet und den idealistischen Höhenflug durch die Konzertsaaldecke brechen lässt, dann ist es - von der rauschhaften Höhe dieser Musik aus betrachtet - gar nicht mehr so wichtig, ob die Ketten des erlittenen Unrechts in dieser Oper dramaturgisch dargestellt werden. Denn Abbado, der Feinfühlige, tritt dann plötzlich mit grosser Geste auf: Es gibt Wichtigeres als stimmige Operndramaturgie, auf hehre Gedanken kommt es an. Freiheit, Humanität, wahrhaftige Liebe! Und auf die wunderbare Musik.

Ein Happy End also? Nicht ganz. An den Schluss der konzertanten Oper setzt die Lichtregie ein leuchtendes Fragezeichen. Das Licht, das die Schlussszene erhellt, ist grell und blendend. Ein Hinweis darauf, dass die Liebe von Florestan und Fidelio auch im klaren Licht des Ehealltags bestehen muss? Oder wie Nike Wagner in ihrer Eröffnungsrede zum Lucerne Festival sagte: Die Scheidungsrate ist heute hoch. Das Thema des Festivals ist aber dieses Jahr der «Eros». Man darf gespannt sein.



 






 
 
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