Neue Zürcher Zeitung, 31.03.2009
Peter Hagmann
Puccini: Tosca, Zürich, 29. März 2009
Die Kirche, das Theater und die Welt
Puccinis «Tosca» im Opernhaus Zürich
Nun ist sie also doch noch zustande gekommen, die «neue» Produktion von Giacomo Puccinis «Tosca» im Opernhaus Zürich. Sie kam zustande, obwohl Michael Tilson Thomas für die Aufgaben am Dirigentenpult erst zugesagt und dann abgesagt hatte. Und obwohl an seiner Statt Christoph von Dohnányi ebenfalls erst zugesagt und dann – zwei Tage vor der Generalprobe und aus Gründen, die für den Beobachter ausserhalb der brodelnden Gerüchteküche mysteriös bleiben – wieder abgesagt hatte. Zum Zug kam schliesslich Paolo Carignani; er war der Mann der Stunde, buchstäblich. Der aus Mailand stammende Dirigent, der ab 1999 zehn Jahre lang an der Oper Frankfurt als Generalmusikdirektor gewirkt hat und seither als begehrter Gastdirigent um die Welt reist, kennt die Partitur, die ganz spezifische Aufgaben stellt, aus dem Effeff. Er hat den Abend mehr als gerettet, er hat ihm vielmehr klares und scharfes Profil verliehen.

Sängerfest

Weniger Turbulenzen als mit der musikalischen Leitung waren mit der Inszenierung von Robert Carsen verbunden – kein Wunder, sind ihre Umrisse doch seit geraumer Zeit bekannt. Die Produktion datiert von 1995, sie ist somit fünf Jahre älter als die letzte Zürcher Neuinszenierung von «Tosca» (die auch schon ein Remake war, nämlich die notfallmässige Übernahme einer Arbeit von Gilbert Deflo aus Madrid). Da darf man zuerst natürlich die Fähigkeit eines Regisseurs bewundern, sein Schaffen mit Gewinn unter die Leute zu bringen; und solange es Intendanten gibt, die eine vierzehn Jahre alte Produktion als neu zu verkaufen wissen, ist wenig dagegen einzuwenden. Jenseits dessen darf indessen festgehalten werden, dass Carsen nicht nur geschickt all das bedient, was ein «Tosca»-Publikum wünschen mag, sondern dass er darüber hinaus auch mit einigen reizvollen Täuschungsmanövern aufwartet. So bleibt es nicht ganz nur beim opulenten Sängerfest.

Ein Sängerfest ist diese Zürcher «Tosca» nämlich zuallererst – und eines, das in der Besetzung interessante Akzente setzt. Jonas Kaufmann zum Beispiel, der den Maler Mario Cavaradossi gibt, ist nicht der italienische Tenor mit seinem in der Höhe verankerten, mit Kraft hinaufgetriebenen Timbre. Seine Stimme verfügt über ein baritonales Fundament und viele Farben, die sich aus dieser Tiefe nähren, und Kaufmann arbeitet virtuos damit. Er unterstreicht die virilen, heroischen Züge der Partie und hebt jenen Moment im zweiten Akt hervor, da der Künstler mit flammendem Mut für seine politische Haltung einsteht und sich der verbrecherischen Absicht des sinistren Staatsdieners Scarpia entgegenstellt.

Dem entspricht die Auffassung, die Emily Magee von der Sängerin Floria Tosca einbringt. Die amerikanische Sopranistin verfügt über eine Stimme, die von einem festen Kern aus zu unglaublicher Tragfähigkeit und Strahlkraft findet. Und so lässt auch sie spüren, dass Floria Tosca zwar eine äusserst reizbare Künstlerin ist, aber auch bis fast zum letzten Punkt aufrecht bleibt – und die sich für die eine Schwäche, zu der sie gebracht wird, mit einem entschiedenen Dolchstoss rächt. Als Sängerin für den mit Macht versehenen Mann das Objekt einer ganz speziellen Begierde, entpuppt sich Floria Tosca hier als eine Frau von bewundernswerter Standhaftigkeit.

Blendend, wenn auch nicht ohne Probleme, Thomas Hampson in der Partie des schurkenhaften Polizeichefs Scarpia. Ein gepflegter Herr ist das, und wenn er am Arbeitstisch seine Mahlzeit einnimmt, erinnert er durchaus an Don Giovanni, aber im Jagen seiner Beute ist er doch erheblich grausamer als der Held Mozarts. Nur: Stimmlich kommt diese Grausamkeit wenig zum Ausdruck. Thomas Hampson setzt alle Mittel ein, er nimmt die Stimme nach hinten, rollt das R, rundet das S zum Sch – aber die metallene Schärfe und die durchschlagende Schwärze, die diese Partie erfordert, besitzt er nicht. Da bleibt, bei aller Bewunderung für die hohe Kunst, ein Defizit.

Und das, obwohl ihn Robert Carsen mit Effekt auftreten lässt. Die, wie bei diesem Regisseur nicht selten, schräg ausgerichtete Bühne von Anthony Ward zeigt einen Raum, der in gleichem Masse Theater wie Kirche ist. Der einer jener riesenhaften Sakralbauten in Rom sein könnte, in denen sich ob der Vielfalt an Klängen, Farben und Gerüchen die Sinne verwirren, oder aber eine jener gründerzeitlichen Opern, in der per Zufall «Tosca» gegeben wird. Ob Gottesdienst oder Opernszene (wie am Ende des ersten Akts), ob Theater oder Leben (wie im Finale) – immer wieder verwischen sich die Grenzen, und Carsen spielt das liebevoll durch. So sehen wir am Schluss das Kommando, das die scheinbare Scheinhinrichtung vornimmt, aus einer Luke herauskommen und dann geradewegs ins Publikum schiessen – weil wir eben in diesem Moment von hinten auf die Bühne auf der Bühne blicken.

Orchesterstunde

Das ist übrigens nicht frei erfunden, sondern dem Libretto entnommen und geschickt weiterentwickelt. Bald ist denn auch vergessen, dass diese Zürcher «Tosca» szenisch eine aufgewärmte Mahlzeit bietet. Und ebenso rasch abgehakt sind die Querelen am Dirigentenpult, denn Paolo Carignani – und er geht dabei zu Recht an die Grenzen dessen, was für die Sänger noch tragbar sein mag – zeigt mit dem fabelhaft präsenten Orchester der Oper Zürich, dass «Tosca» zwar Musiktheater, zugleich aber auch ganz klar sinfonisch gedacht ist. Herrlich die Kraft, aber nie zu viel davon, und prächtig das Farbenspiel. Superb die Achtsamkeit gegenüber den Sängern («maestro concertatore» heisst der Dirigent in der italienischen Operntradition), aber stets eingebunden in weit und ruhig ausgreifende Bögen. Carignani stand ein prominenter Helfer zur Seite, der ihm das Orchester tadellos vorbereitet hatte, am Ende freilich hat er seine eigene Kunst wirken lassen. Übrigens: Wird da nicht irgendwo ein Chefdirigent gesucht?
(Bild: NZZ / Karin Hofer)






 
 
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