Südkurier, 08.07.2009
Elisabeth Schwind
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Deutschlands schönste Stimme
 
Wahlkampf mit Caspar David Friedrich? „Die schönste Stimme Deutschlands“ steht da auf einem Werbeplakat in der Münchner U-Bahn. Man sieht eine romantische Naturkulisse, davor einen Wanderer in Lockenpracht. Gewiss ebenfalls ein Romantiker, auch wenn sein Äußeres mehr auf Latin Lover denn auf Naturbursche hindeutet. Es ist der Tenor Jonas Kaufmann, eben die schönste Stimme Deutschlands, und er streckt uns seine Hand entgegen: Folge mir. Gerne doch! Und umso lieber, als es nicht in die Wahlkabine geht – sondern in die Oper. In die „Lohengrin“-Premiere der Bayerischen Staatsoper München.

Dort freilich ist Caspar David Friedrichs erhabene Einsamkeit passé. Abendgarderobe drängt sich an Abendgarderobe hoch bis in den vierten Rang. Vor den Toren stehen einige unverbesserliche Optimisten mit ihren „Suche Karte“-Schildern. Und 11 000 Menschen lagern auf dem Max-Joseph-Platz direkt vor der Oper, wohin die Aufführung live übertragen wird. Von wegen Oper interessiert nur ein paar Versprengte… Jonas Kaufmanns Rollendebüt als Lohengrin wird mit Spannung erwartet. Es ist zugleich eine Art Generalprobe für Bayreuth: Dort singt er im nächsten Jahr ebenfalls den Lohengrin.

Bislang galt der mexikanische Tenor Rolando Villazón als männliches Pendant zu Anna Netrebko. Doch seit er von einer Stimmkrise in die nächste schlittert, ist Jonas Kaufmann an seine Stelle getreten. Und man kann nur hoffen, dass es ihm nicht ähnlich ergeht wie seinem Kollegen – dass er vorsichtiger agiert, nicht allen Begehrlichkeiten des Klassik-Marktes nachgibt. Eine Stimme ist kein 200-PS-Motor, den man den Berg hochprügeln kann. Schon eher ist sie wie ein guter Wein, der Zeit zum Reifen braucht.

Genau dies, das Alter, hat Jonas Kaufmann Rolando Villazón voraus. Kaufmann, der dieser Tage seinen 40. Geburtstag feiert, ist ein Spätentdeckter. Der gebürtige Münchner studierte in seiner Heimatstadt Gesang und wurde 1994 erst einmal Ensemblemitglied in Saarbrücken. Zwischenzeitig erreichte die Stimmkrise auch ihn, was er heute auf einen falschen pädagogischen Ansatz zurückführt. Erst ein neuer Gesangslehrer verhalf ihm zu der Stimme, mit der er heute zu hören ist: ein wohlklingender, baritonal timbrierter Tenor.

2001 kam er nach Zürich, aber auch dann dauerte es noch einige Jahre bis zum Durchbruch. 2007 nahm ihn die Decca unter Exklusivvertrag und baute ihn konsequent als Star auf. Wofür selbstverständlich auch Kaufmanns Aussehen in die Waagschale geworfen wird. Ohne das geht heute nichts mehr. Sein Repertoire ist breit, was seine beiden Alben bezeugen: das erste („Romantic Arias“) widmete sich vorwiegend dem französischen und italienischen Repertoire, das jüngste Album („Sehnsucht“) mit besagter Caspar-David-Friedrich-Kulisse auf dem Cover konzentriert sich mit Tamino, Florestan, Parzifal und Lohengrin auf die ganze Bandbreite der deutschen Oper.

Und somit ist die schönste Stimme Deutschlands also beim deutschesten aller Komponisten angekommen, bei Wagner. Im „Lohengrin“ freilich profitiert Jonas Kaufmann nach eigener Aussage von seinen Erfahrungen im italienischen Fach, Linienführung und Tessitur seien hier noch viel „italienischer“ als in anderen Wagner-Opern. Vielleicht geht Kaufmann daher manche Töne etwas italienisch an. Vor allem aber überzeugt in der Münchner Premiere der kräftige Strahl seiner Stimme, die gleichwohl nie kraftmeierisch klingt, sondern gerade im Forte ihre strahlendsten Momente entwickelt. Dabei ist solche Entfaltung angesichts der Lautstärke, die der Dirigent Kent Nagano mit dem Bayerischen Staatsorchester bisweilen entwickelt, gar nicht so leicht zu bewerkstelligen.

Und Regisseur Richard Jones, der in seiner spröden Inszenierung jeden Anflug von Pathos fast panisch vermeidet, dekliniert die Lichtgestalt Lohengrin auf einen profanen T-Shirt-Träger herunter. Zusammen mit seiner Elsa zimmert er buchstäblich am Eigenheim – Sinnbild vielleicht für eine neue Gesellschaftsordnung nach 1848 (Die Vollendung von Wagners Partitur und die deutsche Revolution fielen zeitlich zusammen), die sich bald ins Biedermeierliche verflüchtigt. Gewiss ein passables Regiekonzept, das in seiner Durchführung allerdings arg holzschnittartig und aufgesetzt wirkt. Und gegen das sich (nicht nur) Kaufmann aus eigener Anstrengung heraus behaupten muss. Dass ihm und Anja Harteros als kongeniale Elsa an seiner Seite das gelingt, ist vielleicht das eigentliche Wunder.

Kaufmann – ein „Wundertenor“? So einfach ist es auch wieder nicht. Da hat jemand lange an seiner Stimme gearbeitet. Und zu hören ist, wie bewusst er sie einsetzt. Die Gralserzählung etwa und den Abschiedsgesang („Mein lieber Schwan!“) beginnt er jeweils völlig zurückgenommen im Piano. Zärtlich, entrückt, berückend. Das ist eine ästhetische Entscheidung, einerseits, andererseits wirkt Kaufmanns Stimme gerade im Piano und gerade in den Höhenlagen leicht gebremst und nicht wirklich frei. So als taktiere er hier im Umgang mit einer unfreiwilligen Fragilität – die seiner gut geerdeten Stimme ansonsten völlig abgeht.

Das Münchener Publikum feierte ihn freilich ohne jede Einschränkung – zusammen mit Anja Harteros und Wolfgang Koch als rundum überzeugender Telramund. Und buhte das Regieteam gnadenlos aus. Manchmal geht es in der Oper eben mindestens so hoch her wie im Wahlkampf.

 






 
 
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