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Die Zeit, 09.07.2009 |
Von Wolfram Goertz |
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
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Der Held als Häuslebauer
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Der Tenor Jonas Kaufmann gibt im Münchner
»Lohengrin« ein märchenhaftes Rollendebüt, während die Regie reichlich dünne
Bretter bohrt |
Foto: © Volker Dornberger/dpa |
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Bildunterschrift: Live singt Jonas
Kaufmann den Lohengrin noch viel schöner als auf CD |
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Elsa
von Brabant beendet den zweiten Aufzug des Lohengrin mit einem Satz, den
Wagner sie »in heftigster Aufregung und in schamvoller Verwirrung« singen
lässt und der ihre Sehnsucht gleich zur Erlösung bringt: »Mein Retter, der
mir Heil gebracht!« In ähnlich begeisterter Stimmung befindet sich derzeit
der deutsche Musikbetrieb. Er hat einen Tenor ins Visier genommen, dem er
die Erledigung größter heldischer Aufgaben zutraut.
Der Erwählte bestreitet jetzt die Eröffnungspremiere der Münchner
Opernfestspiele, heißt Jonas Kaufmann und macht auch in jenen Magazinen
tolle Figur, die bei Friseuren und Frauenärzten ausliegen. Doch der
Hoffnungsträger testet vor den Starkstromleitungen (Siegfried, Tristan)
einstweilen lieber die kleineren Schaltkreise. Und wartet ab. Singt den
Pinkerton in Madame Butterfly. Empfiehlt sich als Tamino, als Alfredo. Gibt
den Don José in Carmen. Dass sich Kaufmann nicht zu früh zu oft zu laut
entflammen und weiterhin lieber mit Puccini, Mozart und Verdi beschäftigen
will, steht seiner vorschnellen Kasernierung im Heldenfach erfreulich
entgegen.
Bevor er nun aber seinen ersten Lohengrin singt, muss sich ganz Antwerpen
präparieren, muss das Ufer der Schelde von Heerscharen und Heerrufern
gesäumt sein, muss eine ungute Stimmung heraufbeschworen werden, die
Lohengrin für seine göttliche Mission in Wagners Oper braucht. Dazu ist dem
Regisseur Richard Jones eine biografische Idee gekommen, die er von dem
Künstler Ultz in ein Bühnenbild umsetzen ließ. Wagner war ein nimmermüder
Baumeister, er konstruierte ein Festspielhaus, einen Familiensitz und das
Gesamtkunstwerk als solches – und weil sich Wagner seinen Lohengrin als
idealische Variante seiner selbst erträumte, muss er jetzt als Alter Ego auf
die Bühne. Passt das nicht haargenau zum Selbstentwurf? Ein Mann mit
unklarer Herkunft. Ein Held mit Visionen. Ein brennend Liebender. Ein
Familienmensch mit Kinderwunsch. Richard Lohengrin. Es fehlen nur Barett,
Koteletten und der Morgenrock aus Samt.
Jones bricht die Lohengrin -Story auf bürgerliche Lebensmodelle herunter.
Elsa von Brabant hat Architektur studiert, entwirft Einfamilienhäuser und
legt auch selbst gern Hand an (Wagner liebte weiblichen Pragmatismus, wenn
er ihm Arbeit vom Hals hielt). Lohengrin stapft in die Szene als Tier- und
Menschenfreund und macht sich Elsas Ideen sogleich zu eigen. Über zwei Akte
entsteht auf der Bühne ein Musterhaus für Familie Lohengrin, immer mehr
Steine werden herbeigeschafft. Kolonnen von Helfern bohren, schrauben,
feilen, schmirgeln, am Ende hievt ein Kran das Fertigdach auf den rustikalen
Rohling. Aber die Griffigkeit der Materialien verdeckt kaum, dass der Regie
der Sinn für alles Spirituelle fehlt. Münchens Lohengrin hat keinen Ort,
auch wenn er – in Anspielungen auf die Holzstiegen des Festspielhauses, die
Rabatten von Wahnfried – nach Bayreuth schielt.
Zur Krönung harmonischer Zukunftsplanung schafft Lohengrin eine Wiege ins
Heim, doch früh fragt sich das Publikum, wieso ein dermaßen lebensbejahender
Typ, der das Wams des Zimmermanns trägt, unerkannt bleiben will. Immerhin
scheint Lohengrins Biografie so verbergenswert, dass urkundliche Akte ins
Stocken geraten. Ultz hat moderne Kommunikationstechnik ins historische
Brabant gestopft. Als die Trauung im Fernsehen übertragen wird und die
Brautleute das Familienbuch per Unterschrift vervollkommnen, sieht man via
Volksbildschirm ihren Füller ein korrektes »Elsa von Brabant« schreiben. Der
Gatte bringt es nur zu einem Kürzel: »L«.
Zunehmend beschleicht einen Unwohlsein, weil das
Wagner-Lohengrin-Parallelogramm zu heftig strapaziert wird und sich darüber
jeder Theaterzauber verflüchtigt. Die Inszenierung korrespondiert selten mit
dem lichten Charme der Musik, als wolle sie sich die Märchenhaftigkeit, an
der Wagner gelegen war, vom Leibe schaffen. Einzig das Vorspiel zum dritten
Akt mit den rhythmisch springenden Ziergärtnern schafft eine Originalität,
die den Häuslebauer-Alltag vergnügt, erfrischt und ironisiert.
Am ärgsten widerspricht diese Leichtbau-Optik dem tiefsinnigen Ernst, den
die Musik in München mühelos erzielt. Kent Nagano bevorzugt mit dem
Bayerischen Staatsorchester einen gemessenen, ätherisch bespiegelten, von
Blechglanz üppig, aber nicht protzig beschienenen Wagner, der meisterlich
zwischen Poesie und Prosa, Legende und Realismus vermittelt. Auf diesem
umsichtig bewässerten Humus gedeiht Kaufmanns Rollendebüt nun allerdings
märchenhaft. Auf der Bühne fühlt sich der Tenor offenkundig wohler als im
Studio; das Niveau der Premiere ist um ein Vielfaches höher als das der CD.
Freier, differenzierter, kerniger – dabei nie ins Ungeschlachte umschlagend
– singt die Partie derzeit kaum jemand. Die Knödel auf seiner jüngsten
Platte schluckt Kaufmann live glattweg herunter.
Das musikalische Glück ist fast vollkommen, weil sich Anja Harteros als
geheimnisvoll-spröde Elsa von Brabant anschickt, nicht allein den
Schwanenritter, sondern ganz München zu erobern. Ihr wunderbar gleichmäßig
geführter, leuchtsüßer, natürliche Hoheit verbreitender Sopran ist so
krisensicher gegürtet, dass bei solcher Stimme die Zweifel der Elsa
irritierend wirken. Andererseits wird man einräumen müssen, dass in Michaela
Schuster (Ortrud) und in Wolfgang Koch (Telramund) zwei hinreißende
Finsterlinge mitwirken, deren Einflüsterungen Wirkung zeigen. Auch dies fügt
sich als Aktenlage in Wagners Verfolgungswahn und seine Angst, man könne ihm
auf die Schliche kommen, nicht schlecht. Dass Lohengrins Abgang in München
aber alle Beteiligten in einen Massenselbstmord treibt, beugt die Fabel
gewaltsam. Gut, Wagner liebte es, Jünger um sich zu wissen, und tatsächlich
besitzt seine Musik hypnotische Kompetenz. Aber Pistolen in Mündern hätte
auch der Bayreuther Meister als unangemessen drastisch empfunden. Ihm
genügte es, wenn jemand entseelt zu Boden sank.
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