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Der Neue Merker, Oktober 2009 |
Dirk Altenaer |
Konzert, Düsseldorf, Tonhalle, 11. Oktober 2009
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Romantik - Sehnsucht - Klage : Eröffnung der
Konzerttournee Jonas Kaufmann
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"Euch macht Ihr's leicht" - seufzt der vom Volk geliebte Schuster Hans Sachs
in seiner Ansprache. Auch Kritiker haben es bisweilen nicht leicht, werden
Sie mit einem Konzerterlebnis konfrontiert, das nahezu perfekt ist und
wirklich kaum Anlass für irgendwelche Kritikastereien bietet. Das
Eröffnungskonzert von Jonas Kaufmanns kleiner Deutschlandtournee am
vergangenen Sonntagnachmittag in der Düsseldorfer Tonhalle war ein solches
Ereignis. Nicht nur, daß der junge Startenor bis in die kleinste Nuance mit
seinen Partnern, die Staatskapelle Weimar unter den feinsinnig leitenden
Händen Michael Güttlers harmonisiert, Kaufmann zieht sein Publikum mit dem
ersten Moment seines Auftritts unter einen fast schon narkotisch zu
nennenden Bann.
Das Programm bietet mit den fein aufeinander abgestimmten Arien und
Instrumentalpiecen einen kurzen Querschnitt durch die beiden Solo-CD's und
eine musikalische Reise von der Klassik bis zur wagnerschen Spätromantik. Im
ersten Teil schont sich Kaufmann noch vermeintlich: Florestan, Tamino und
Max, schwere wagnersche Kost dann im zweiten Teil, der übergewichtige
Parsifal, gefolgt von Siegmund und Lohengrin. Was schon in seiner
Sehnsuchts-CD überzeugte, ist die stupende Beherrschung der Piani - und
damit verblüfft uns Kaufmann schon mit seinem ersten Ton: Florestans
Aufschei "Gott" erscheint bei Jonas Kaufmann wie aus dem Seelendunkel seines
Kerkers, fast unhörbar steigert sich der Konsonant "G" zum anklagenden
crescendo des Vokals, bis die Anklage wie ein Menetekel im Saale schwebt,
dann die Lebensbeichte. Die Leonoren-Visionen als Selbstsuggestion, dann das
ernüchterte in sich Zusammensinken: Wer verlangt da nach Bühne, Kaufmann
schildert uns den düstersten Kerker, wie ihn ein Piranesi kaum zu zeichnen
imstande war, zeichnet uns die Seelenqual des Gefangenen und dann den
physischen Zusammenbruch mit rein vokalen Mitteln. Bevor er zur zweiten
Psychostudie des Abends anhebt, gönnt er sich und uns eine Quasi-Auszeit mit
Taminos Bildnisarie. Diesen Sonntagskonzertschlager gestaltet uns Kaufmann
allerdings "neu": Der Liedsänger betont das Lied in dieser Arie, aus der
Liebeserklärung wächst eine introvertierte Innenschau.
Dann die zweite Gottesanrufung an diesem Abend, "lebt kein gott, mich fasst
Verzweiflung": So resümiert der erfolgverlassene Jägerbursche am Vorabend
seiner Prüfung und Hochzeit. Carl Maria von Weber waren die
tiefenpsychologischen Studien eines Siegmund Freud noch unbekannt, aber wenn
man die Seelenzustände dieser Figur so eindringlich präsentiert bekommt wie
durch Kaufmann, kommen einem dann doch einige Zweifel. Dabei braucht der
Tenor gar nicht zu psychologisieren, wieder gelingt ihm die Studie allein
mit vokalen Mitteln. Will man an diesen Abend Kritik einfließen lassen, dann
vielleicht allein durch die Wahl Kaufmanns, den zweiten Teil mit dem großen
"Amfortas! Die Wunde!"-Monolog zu beginnen. Nicht nur, daß dieser Monolog
den Rahmen eines Konzerts sprengt, wo will man hier den Schnitt ansetzen und
selbst die geviefste Solovioline mag den betörenden Sopran der Höllenrose
Kundry kaum vergessen zu machen. Kaufmann gelang dann eine betörend
belcantistische Interpretation der Liebeserklärung an die Kraft des
Frühlings. Siegmunds Liebeswerben aus dem Geiste eines Schubertliedes singt
ihm wohl so leicht keiner nach.
Doch das Finale furioso stand noch aus. Nach einem wunderschön von
Silberfäden der zarten Streicherklänge durchflochtenden ersten
Lohengrin-Vorspiel, leitet Güttler auf dem A-Dur des Vorspiels in das der
Gralserzählung über. Hier zeigt sich Kaufmann auf der souveränen Höhe seines
Könnens. Wahrlich ritterhaft zeichnet uns der Tenor die Legende des
Schwanenritters, im zartesten Piano lässt er den Strahl seines Organs erst
mit dem Wort "Gral" erstrahlen, der uns nun funkelnd und blendend fast zum
Greifen nahe erscheint - im strahlendsten forte gibt er sich zu erkennen.
Dieser Lohengrin ist wirklich eine himmelhafte Erscheinung.
Nach einer atemberaubenden Stille wollte der Jubel des Publikums kein Ende
nehmen. Kaufmann zeigte sich in dankbarer Geberlaune und hob gleich zum
dritten Teil seines Konzerts an, vier Zugaben, auch das ist heute eher die
Ausnahme. Das erste Amuse geule erwies sich fast als (heilsame) Schockkur,
nach überirdischen Gralssphärenklängen nun weltlich diesseitige Lebenslust:
Octavios Credo an die Lebensfreude aus Lehars opernhafter Operette
"Giuditta". Spätestens hier ist es an der Zeit, auch die orchestrale
Leistung der grandiosen Staatskapelle Weimar zu würdigen. Güttler und seine
Staatskapelle heben Lehar förmlich aus den Sümpfen niedriger Operette, so
fein auszisiliert hat man gerade dieses Werk selten zu Gehör bekommen. Als
sei es eine der erotisch exotisch sinnbetörenden Partituren Schrekers, wird
uns hier "Freunde, das Leben ist lebenswert" präsentiert, man hörte nur
einmal aufmerksam auf die raffinierten Nebenstimmen üppig berauschender
Streicherfiorituren, perfekt! Nahmen schon die präzis intonierenden Hörner
und die getupften Streicherklänge in der faszinierenden Oberon-Ouvertüre für
sich ein, sollte die große Stunde anderer Instrumental-Soli noch schlagen.
Nach Lehar, ließ Kaufmann mit einer belcantistisch gefestigten, gänzlich
unlarmoyanten Lebensbeichte des Malers Cavaradossi Puccini zu Wort kommen.
Das Vorspiel geriet den Weimarern zu einer der schönsten Zeichnungen des
Abends, woran das im positivsten Sinne zu Tränen rührende Klarinetten-Solo
den Hauptanteil hatte. Wie man den abgedroschenen, meist verbrüllten
Schlager aller Schlager, die Blumenarie aus Bizets Carmen auch
interpretieren kann, nämlich als ein schlichtes Liebeslied, führte uns
Kaufmann sodann vor. Das Oboen-Solo habe ich in solch anrührender Perfektion
nur äußerst selten hören dürfen. Mit der Klage des Florestan begann Kaufmann
sein Programm, mit der bukolischen Klage des Federico aus der
seltengespielten L'arlesiana Cileas endete er es. Dieses Juwel in solch
begnadeter Schönheit vorgetragen, war der krönende Abschluß eines
außergewöhnlichen Konzrterlebnisses. |
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