Rheinische Post, 12. Oktober 2009
Wolfram Goertz
Konzert, Düsseldorf, Tonhalle, 11. Oktober 2009
Zum Schmelzen schön
 
Der Tenor Jonas Kaufmann gab ein von Beifall umtostes Arien-Konzert in der Düsseldorfer Tonhalle. Der Künstler, der neulich zum Sänger des Jahres gekürt worden war, trug Kompositionen von Mozart bis Wagner vor.
Bevor gestern um 19.10 Uhr die U 75 Richtung Neuss an der Haltestelle Tonhalle vorfuhr, konnte man dem euphorischen Dialog zweier Damen lauschen. Sie waren noch ganz erhitzt. Die eine bekundete, sie sei sprachlos über das Gehörte, die andere sagte mit schwärmendem Ton: „Um für den Karten zu bekommen, würde ich sogar auf den Schwarzmarkt gehen!“

Bei guten Tenören haben Glückshormone kein ruhiges Stündchen mehr: Sie werden in Eimern ausgeschüttet. Besitzt der Tenor einen deutschen Pass, sieht fesch aus und hat allem Anschein nach tadellose Manieren, ist es beinahe unmöglich, nicht hingerissen zu sein; der personelle Notstand, der in dieser Branche herrscht, tut das Seinige. Deshalb waren die Bahn fahrenden Damen zu Recht entflammt: Jonas Kaufmann, der deutsche Vorzeigetenor der Gegenwart, hat gestern in der Düsseldorfer Tonhalle wirklich hinreißend gesungen; ihm ist der Sprung vom Hoffnungsträger zum Hoffnungserfüller gelungen.

Natürlich darf man um den sympathischen Kerl ein wenig Angst haben, wenn er sich quer durchs Repertoire arbeitet, als wolle er keine Partie, keine Oper hergeben. Gab es im offiziellen Programm bereits eine stilistisch weite Mixtur aus ernstem deutschen Fach, das bei Wagner zum Höhepunkt kam (mit Arien der Herren Florestan, Max, Tamino, Siegmund, Parsifal und Lohengrin), so waren die Zugaben von jüngerer, zudem romanischer Herkunft (Puccini, Bizet, Cilea); das Tor dorthin hatte ausgerechnet ein gleißendes „Freunde, das Leben ist lebenswert“ (Lehar) aufgestoßen.

Das klingt in dieser Vielfalt nach Wahnsinn mit Methode, aber Kaufmann ist gottlob in einer Phase, dass er alle Umschwünge stimmlich exzellent und lustvoll meistert. Dabei gibt es durchaus Situationen des Unklaren, Gefährdeten, Korrekturbedürftigen. Etwa der Beginn der Florestan-Arie aus Beethovens „Fidelio“: Kaufmann setzte den ersten Ton auf dem hohen G so seltsam gaumig und leise an, dass man den Hals deutlich mithörte, der diesen Ton noch in Besitz hatte; erst ein Crescendo entriss dieses G seiner Sperre und entließ es im Fortissimo durch den Mund in die Freiheit. Man könnte entschuldigend sagen: Darum geht‘s im „Fidelio“ ja auch. Solche Momente bemerkt man bei Kaufmann einige Male: dass die Stimme ihren Sitz nicht findet, dass sie noch auf der Suche nach dem finalen Ort der Aufbewahrung ist. Andererseits interessieren einen im Lauf des Konzerts diese eher pädagogisch relevanten Aspekte nicht mehr — weil Kaufmanns Enthusiasmus des Singens, seine Risikofreude und sein jugendlich-männlicher Überschwang etwas Einnehmendes, ja Überrumpelndes haben. Der Mann will den ganzen Saal ans Jubeln kriegen. Und er kriegt ihn.

Faszinierend, wie Kaufmann zwischen erzener, gerundeter Mittellage und Strahlemann-Höhe fast bruchlos verbindet. Seine Spitzentöne sind gewinnend, bezwingend, heldisch, lanzen- und zeptermaßig und — wie die bei Tenören stets hinzugerufene Sexualforschung sagen würde — phallisch. Man sah aber auch Männer toben vor Begeisterung, zumal Kaufmann neben diesen Kawenzmännern von Spitzentönen auch Piano -Augenblicke zauberte, die beinahe Andacht hervorriefen. Dass Kaufmann solche Innigkeit nicht als Abfallprodukt, sondern als integralen Baustein seiner Kunst ansieht, erkannte man daran, dass er mit einem Klagegesang endete: mit dem Lamento des Federico aus Cileas „L‘Arlesiana“.

Die Staatskapelle Weimar war sich des Ernstes der Lage und der Denkwürdigkeit des Konzerts sehr bewusst und begleitete fein und hilfreich. Störend wirkte ein wenig die raumgreifende Schlagtechnik des Dirigenten Michael Güttler, der offenbar auf die Lufthoheit in der Tonhalle erpicht war. Das misslang: In der Luft hielten sich vor allem Kaufmanns Töne auf, sie strahlten noch, als Sängers Mund längst geschlossen war. Und sie strahlten, wie gesagt, noch an der Bahnsteigkante zur U 75.






 
 
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