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Suedkurier |
Elisabeth Schwind |
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
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Bloß keine Erotik!
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Hinterher ist man nicht immer
schlauer. "Bin sehr gespannt wie du die Carmen finden wirst", melde ich
einem Kollegen, der erst zur zweiten Aufführung kommen kann. "Macht es die
Vessi denn gut?" fragt er zurück und meint damit Vesselina Kasarova, die
soeben am Opernhaus Zürich ihr Rollendebüt als Carmen gegeben hat.
"Gegenfrage: kannst du sie dir als Carmen vorstellen?" - "Nöö, jedenfalls
nicht hüftschwenkend und arschwackelnd." |
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Bitte, da haben wir's. Wenn eine Sängerin so
ganz und gar nicht in das Bild des männerverschlingenden Vamps passt, dann
ist es Vesselina Kasarova. Ist ja kaum ein Zufall, dass sie erst 42 werden
musste, um erstmals die Carmen zu singen. Singen zu wollen, denn angeboten
wurde ihr die Rolle bereits früh.
Also kein Hüftschwung, nichts Verruchtes. Aber vielleicht liegt ja auch
genau darin eine Chance. Carmen nicht als nymphomanische Männerphantasie,
sondern als emaniziperte Frau, die das für sich in Anspruch nimmt, was jeder
Mann für sich als selbstverständlich erachtet: Eroberungen zu machen und
Beziehungen auch wieder zu beenden. Eine solche Carmen will Kasarova sein.
Zu oft sei die Figur wie eine Prostituierte behandelt worden, sagte sie im
Interview mit dem SÜDKURIER (siehe 23. Juni). Platte Erotik werde es mit ihr
nicht geben. Einverstanden. Man war also gespannt, was die Kasarova dem
entgegensetzen würde.
Doch hinterher ist man nicht immer schlauer. In Matthias Hartmanns Zürcher
Inszenierung der beliebten Oper von George Bizet findet vordergründige
Erotik in der Tat nicht statt. Schon das züchtige Blumenkleid, in dem die
Kasarova steckt (Kostüme: Su Bühler), lässt eine solche erst gar nicht
aufkommen. Allerdings lässt auch die hintergründige auf sich warten. Wenn
Carmen die Bühne betritt, um ihre Habanera zu singen, wirft sie den Kopf in
den Nacken, so als habe sie diese stolze Geste lange üben müssen. Eine
starke Carmen, eine emanzipierte Frau? Jedenfalls eine enorm reflektierte.
Und in all den gesetzten Gesten wirkt sie dabei auch ein wenig manieriert.
Die größte Verführungskunst liegt in Kasarovas Stimme. Das dunkle Timbre,
die schlanke Höhe, selbst die nicht bruchlosen Registerwechsel - das hat in
der Tat Erotik. Aber es ist eine leise Erotik, eine, die am besten im Piano
wirkt. Ihre Habanera, ihre Seguedilla kennen wunderbar intime, sogar
verhaltene Töne. Ja, das kann man so machen. Und doch: wo ist Carmens Feuer?
Kann eine emanzipierte Frau denn nicht auch impulsiv sein? Ganz groß ist sie
dann wieder im 3. Akt, wenn sie ihren bevorstehenden Tod ahnt. Eine dunkle,
eine geheimnisvolle und nachdenkliche Szene - Carmen privat sozusagen, das
funktioniert wunderbar.
Jonas Kaufmann an ihrer Seite ist ein Prachtexemplar von Don José,
optisch, stimmlich. Zunächst muss er den Schüchternen mimen, der erst mal
umständlich seine Brille aufsetzt, um die Blume zu finden, die ihm Carmen
zuwirft. Klingt er in der Szene mit Micaëla im ersten Akt noch ein wenig
verhalten und ungenau, so darf er bald Contenance und Brille fahren lassen
und gewinnt auch sängerisch absolute Souveränität. Seine Blumenarie ist das
berührende Stimmungsbild der bedingungslosen Hingabe, hauchfeine Pianos und
leidenschaftliche Aufschwünge, gipfelnd in einem fast geflüsterten "Je
t'aime". Das hat Format.
Rundum überzeugend auch Michele Pertusi als Prototyp des stolzen und von
Selbstzweifeln unbelasteten spanischen Stierkämpfers Escamillo, sowie Isabel
Rey als Micaëla.
Franz Welser-Möst - auch für ihn die "Carmen" ein Debüt - lässt der
Ouvertüre am Pult des Opernhausorchesters einen edlen Ton angedeihen. Auch
hier ist nicht alles Ungestüm und Temperament, dem Dirigenten liegt viel an
Transparenz, weniger an eitler Selbstdarstellung. Er lässt den Abend
zurückhaltend beginnen und lockert erst im zweiten Teil die Zügel.
Auch Schauspielhaus-Intendant Matthias Hartmann will das
"Kitschpostkartenklischee" von der feurigen Zigeunerin vermeiden und räumt
dafür auf der Bühne gründlich auf. Schauplatz ist eine weiße Scheibe
(Bühnenbild: Volker Hintermeier), ein paar Zitate deuten an, wo wir uns
befinden: Ein frei stehendes Tor mit Zigarren-Leuchtreklame steht für die
Zigarettenfabrik, ein Stierkopf für die Stierkampfarena. Die "Carmen" wird
entrümpelt. Das hat etwas Wohltuendes, ein Geniestreich der Regiekunst ist
es sicherlich nicht. Insgesamt bekommt man in Zürich eher eine Anti-Carmen
denn eine Carmen zu sehen. Das darf, das muss vielleicht sogar sein. Das
letzte Wort ist damit jedoch nicht gesprochen. |
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